„Die Optimisten“ von Rebecca Makkai: Von der Liebe und Verlust auf zwei Zeitebenen

„Das ist der Unterschied zwischen Optimismus und Naivität. Keiner hier im Raum ist naiv. Naive Menschen haben noch keine echte Prüfung hinter sich, deshalb meinen sie, ihnen könnte nichts passieren. Optimisten wie wir haben schon etwas durchgemacht und stehen trotzdem jeden Tag auf, weil wir glauben, wir könnten verhindern, dass es uns noch einmal passiert. Oder wir tricksen uns einfach aus, um das zu glauben.“ – So formuliert es kurz vor Schluss der Geschichte eine der Protagonistinnen in Rebecca Makkais Buch und fasst damit die titelgebende Lebenseinstellung der Figuren dieses Romans zusammen, in dem die großen Themen „Liebe“ und „Verlust“ in den unterschiedlichsten Facetten beleuchtet werden.

Schwulenszene und AIDS im Chicago der 80er Jahre

Makkai erzählt abwechselnd auf zwei Zeitebenen: im Chicago der 1980er Jahre und 2015 in Paris. Zum einen lässt sie die Leser eintauchen in die Schwulenszene Chicagos, in der Mitte der 1980er Jahre AIDS allgegenwärtig ist. Der junge Kunsthistoriker Yale Tishman, eine der Hauptpersonen, wird direkt zu Beginn des Romans mit dem Tod von Nico, eines der schillernsten jungen Männer aus seinem Freundeskreis, konfrontiert. Das Virus ist plötzlich sehr nah und wird im Laufe der Geschichte unaufhaltsam näher kommen. Es lassen sich hier, trotz aller bestehenden Unterschiede, auch immer wieder Parallelen zur aktuellen Pandemie entdecken: der Glaube einiger, unverwundbar zu sein, um dann doch schwerkrank zu werden; das Misstrauen in Testungen; die Angst vor Kontakten; … 

Ein großer Unterschied zu heute ist jedoch, dass die Politik das damals grassierende Virus zu ignorieren versuchte, Hilfen eher kürzte, AIDS-Stationen in Krankenhäusern stetig verkleinerte usw. So bleibt der Freundeskreis um Yale meist allein mit seinen Ängsten, Leiden und mit seiner Trauer. Aufopferungsvoll kümmert sich Fiona, die jüngere Schwester des zu Beginn Verstorbenen, um die Kranken, die Sterbenden und die Hinterbliebenen.

Das Versagen als Mutter im Paris der Gegenwart

Fiona ist auch die zentrale Figur des Erzählstrangs, der 2015, im Sommer der verheerenden Terroranschläge, in Paris spielt. All ihre Zuneigung und ihre Zeit, die sie für die Freunde ihres Bruders in den 1980ern hat, bleiben ihrer eigenen 1992 geborenen Tochter Claire versagt. Diese entzieht sich der Mutter daraufhin schon früh und landet über einen Umweg in einer Sekte schließlich in Paris.

2015 wird Fiona plötzlich von großer mütterlicher Sorge erfasst und möchte retten, was sie in Claires Kindheit versäumt hat. Sie fliegt nach Paris, kommt bei Richard Campo, einem befreundeten Künstler, den die Leser auch schon aus Chicago kennen, unter und begibt sich mit Hilfe eines Privatdetektivs auf die Suche nach Claire. Doch Claire, mittlerweile selbst junge Mutter, hat, als sie sich schließlich finden, große Probleme, ihrer eigenen Mutter zu vertrauen…

Kunst, Liebe und Verlust

„Liebe“ und „Verlust“ werden in diesem umfassenden Roman (615 Seiten) von der Autorin immer wieder neu beleuchtet und jedes Mal wird deutlicher, wie eng diese beiden Lebenserfahrungen, die wahrscheinlich jeder und jede schon mal gemacht hat, miteinander verknüpft sind.

Neben Fiona, deren Biografie beide Erzählstränge verbindet, setzt Makkai auch die Kunst sozusagen als Klammer um beide Zeitebenen. So soll Yale sich in den 1980er in seinem Job als Kunsthistoriker um die Übernahme einer Privatsammlung in die seinem Institut angeschlossene Galerie kümmern. In Gesprächen mit der Sammlerin erfährt er anhand der Porträtmalereien viele Geschichten aus der Pariser Künstlerszene der 1920er Jahre, in denen die Sammlerin sich als junge Frau die Bilder als „Lohn“ fürs Modell stehen schenken ließ. Auch in dieser, eigentlich einer dritten, Erzählebene spielen „Liebe“ und „Verlust“ (z.B. durch die Weltkriege) eine zentrale Rolle.

Makkais Roman endet schließlich 2015 im Centre Pompidou in Paris, in der eine große Ausstellung von Richard Campo eröffnet wird, auf der unter anderem fotografische und filmische Porträts des im ersten Kapitel verstorbenen Nicos gezeigt werden. Hier schließt sich dann der Kreis dieser opulenten Erzählung und lässt die Leser trotz aller Tragik hoffentlich als Optimisten zurück.

Lesenswert?

Wer sich nicht vor einer Vielzahl handelnder Personen und vor mehreren parallel erzählten Handlungen scheut, sollte sich auf das Leseabenteuer dieses Buches einlassen. Makkai schreibt in einem gut lesbaren Stil, der trotzdem nie Tiefe vermissen lässt. Die zahlreichen eher kurzen Kapitel laden dazu ein, beim Lesen immer wieder innezuhalten, das Geschehene noch einmal zu durchdenken und über eigene Erfahrungen von „Liebe“ und „Verlust“ zu sinnieren.

Kurz: Eine klare Empfehlung für lange Winterabende.

Die Optimisten von Rebecca Makkai
624 Seiten
16 Euro

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