„Die potente Frau“ von Svenja Flaßpöhler: Frauen, befreit euch aus eurer Unmündigkeit!

Die potente Frau
Collage von Birgit Steinborn

Gewagte Thesen stellt Flaßpöhler in ihrem Essay „Die potente Frau“ auf, die eine Reaktion auf die #metoo-Debatte darstellen, die seit Oktober 2017 durch die sozialen Netzwerke kursierte. Die promovierte Philosophin und Chefredakteurin des Philosophie Magazins geht mit den Opfern von sexueller Belästigung hart ins Gericht: Einen ethisch fragwürdigen sozialen Pranger erzeuge die Debatte, in der eine differenzierte Darstellung der Vorfälle abhandengekommen sei.  Warum wehren sich die Frauen erst nach 20 Jahren im Fahrtwasser der sozialen Netzwerke? Dient die ganze #metoo-Debatte vielleicht nur als medialer Eyecatcher, die von der strukturellen Ungleichheit, dem eigentlichen Problem, abzulenken droht?

Die Rolle der Frau in der #Metoo-Debatte

„Fassungslos und völlig machtlos“ sei die britische Schauspielerin Lena Headey gewesen alssie von dem Regisseur Harvey Weinstein sexuell belästigt wurde. Viele Schauspielerinnen, die mit dem in Verruf geratenen Weinstein gearbeitet haben, berichten von ähnlichen Erfahrungen und Empfindungen. Viele von ihnen erlebten diese Übergriffigkeit zu Beginn ihrer Karrieren und berichten nun davon, teilweise bis zu zwanzig Jahre später, im Diskurs des #metoo-Feminismus. Das öffentliche Anprangern von Harvey Weinstein schlug weltweit Wellen und löste einen weiblichen Aufschrei in den sozialen Netzwerken aus.

Der Hashtag metoo steht symbolisch dafür, dass man selbst Opfer sexueller Belästigung, Vergewaltigung oder Machtmissbrauch von Männern wurde. Doch genau hier fängt bereits nach Flaßpöhler der Diskurs an, undifferenziert zu werden. Wo fängt sexuelle Belästigung an, eine Straftat zu werden und wie grenzt sie sich von einer Vergewaltigung ab? Flaßpöhler zieht hier eine klare Grenze, indem sie die Frauen zur Selbstreflexion ihres eigenen Verhaltens aufruft: Hatte ich andere Handlungsmöglichkeiten? Inwiefern habe ich naiv gehandelt, falsche Signale gesendet und es selbst versäumt, klare Grenzen zu formulieren und mich von einer unangenehmen Situation räumlich zu distanzieren? Wir Frauen machen es uns vielleicht ein wenig zu leicht mit diesem simplen Hashtag, alle Männer über einen Kamm zu scheren und sie in einem öffentlichen einseitigen Anklagediskurs zu verurteilen.

Selbstgewählte Opferrolle?

Es ist etwas paradox, wenn man sich die aktuellen Feminismus-Debatten anschaut, in der der Wunsch nach Gleichberechtigung und einem Miteinander auf Augenhöhe groß ist, wir uns aber nicht dazu in der Lage sehen, einem dummen Spruch oder einer Anmache von männlicher Seite entgegenzutreten. Die Begründung lautet dafür meistens, dass man in eine Schockstarre gefallen sei, keinen Ton herausbekommen hätte oder schlichtweg nicht begriffen habe, dass ein Mann keine beruflichen Gespräche in einem Hotelzimmer führen will.

Faßpöhler wirft den Frauen vor, die sich hinter einer derartigen Naivität und Konfliktscheuheit verstecken, sich selbst zu infantilisieren. Dabei bezieht sie sich nicht auf Opfer von sexueller Vergewaltigung oder Misshandlung, die keinerlei alternative Handlungsmöglichkeiten hatten, sondern auf diejenigen, die bereits eine plumpe Anmache als sexuelle Belästigung wahrnehmen und sich mit tatsächlichen Opfern sexueller Gewalt unter dem Hashtag metoo gleichstellen.

Die Reproduktion eines patriarchalen Weltbildes

Es ist naheliegend, dass dieses Verhalten die Frage aufwirft, wer wir eigentlich sind und was unsere Weiblichkeit definiert. Wenn die Frau selbst sich stets als derart wehrlos wahrnimmt, was durch den metoo-Diskurs suggeriert wird, reproduzieren wir lediglich das patriarchale Weltbild, was wir eigentlich anprangern. Wir Frauen verlangen neue Gesetze, Unterstützung vom Staat und ein anderes Verhalten der Männer, aber vergessen dabei, uns selbst zu hinterfragen. Selbstverständlich ist es einfacher, wenn man die Schuld von sich weisen kann. Kaum eine gibt gerne zu, dass sie deutliche Signale auch richtig interpretiert hat, sich aber freiwillig und im vollen Bewusstsein in gewisse Situationen selbst manövriert hat, die sie im Nachhinein bereut.

Die neue Weiblichkeit

Flaßpöhler will diese weibliche Opferrolle nicht so hinnehmen und versteht nicht, warum einige Frauen in dem Moment, in dem es darauf ankommt, aktiv zu handeln, in ihrer Passivität verharren. Sie schreibt dies alten anerzogenen Rollenbildern zu, die überwunden werden müssen. Rechtlich haben wir die Gleichstellung bereits erreicht, aber diese werden wir nicht vor den Männern durchzusetzen wissen, wenn wir uns selbst stets passiv verhalten. Ein Feminismus, der nicht im Dialog stattfinde und lediglich in der Anonymität des Internets aufkeime, bewirke keine Veränderung. Die Frau selbst müsse „potent“ werden, sich aus ihrer Unmündigkeit befreien und sich ihrer eigenen Lust stellen. Flaßpöhler drückt ihren Traum einer mündigen und emanzipierten Frau im Prolog folgendrmaßen aus:

„Scham und Gefallsucht hat sie abgestreift wie ein altes Kleid. Ihr Zugang zur Lust: unmittelbar. Ihr Begehren: eigensinnig. Sie ist keine Leerstelle – weder existiert sie für den Mann noch durch ihn. Weit entfernt davon, ein Spiegelbild seiner Potenz zu sein, ist sie ein gleichwertiges, aber nicht gleiches Gegenüber.“ (S.7, „Die potente Frau“)

Warum lesenswert?

Nicht ohne Grund veröffentlichte der ullstein Verlag das Buch „Die potente Frau“ als Streitschrift. Es lässt sich sicherlich viel über Flaßpöhlers Thesen streiten, was bereits in zahlreichen Foren getan wurde. Ich denke, dass sie das Unbehagen vieler Männer in Bezug auf den Hashtag-Feminismus verdeutlicht hat, aber kann man sich auch als Frau mit dieser radikalen Meinung identifizieren?

Ja, ich kann das. Artikel über Frauen, die sich in einem vollen Supermarkt am hellichten Tag sexuell belästigt fühlen, weil sie einen blöden Anmachspruch hinterhergerufen bekommen, empfinde ich als banal. Damit will ich nicht sagen, dass sich die Frau in so einer Situation nicht belästigt fühlen darf, sondern dass es für mich kein relevantes Thema einer renommierten Wochenzeitung darstellen sollte. Zu oft werden derartige Szenen als feminsitischer Aufhänger für die Medien gewählt, der doch eigentlich alles andere als zur Stärkung der Frau beiträgt.  In all diesen Artikeln verkauft sich die Frau als passives Opfer, was vor Angst und Schrecken dieses Szenario über sich ergehen lassen musste. Wenn wir nicht dazu in der Lage sind, in so einer Situation zu kontern, uns nicht hoffnungslos ausgeliefert zu fühlen, dann sehe ich die ganze Diskussion um Gleichberechtigung als hinfällig.

Der feministische Diskurs dreht sich irgendwann ad absurdum, wenn wir uns von der Opferrolle nicht befreien, in der man behaglich jegliche Verantwortung von sich weisen kann. Der Aufschrei muss vorgelagert werden und nicht nur ein gern gesehenes Thema der Medien sein, sondern aktiv in der Situation geschehen, in der er am meisten nützen würde. Ja, diese Vorstellung von Emanzipation setzt eine starke Frau voraus und ja, das erfordert Mut, Stärke und Handlungsbereitschaft. Aber ist es nicht das Ideal, was wir alle anstreben sollten, wenn wir ernst genommen werden wollen?

Buch Wien - Unmündige Anklage - Wiener Zeitung Online
„Die potente Frau“ von Svenja Flaßpöhler

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