Erst mein Image, dann ich! -Wenn Social Media anfängt, dein Leben zu bestimmen

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Ich bin Julian, 19 Jahre alt, und ich finde es zum Kotzen, wenn Menschen „Jahre jung“ schreiben oder ihren Kaffee mit dem Satz: „so schwarz wie meine Seele“ bestellen. Mir fällt es jedoch schwer, etwas einfach nur kommentarlos nicht zu mögen. Die Frage nach dem „Warum“ ergibt sich mir bei fast allem, was mich stört, mich begeistert oder schlichtweg langweilt. Generell kann man sagen, dass ich so ziemlich alles, was ich sage, gerne ausführe und mich stundenlang über Dinge oder Menschen, die mich stören, beschweren kann (zum Leidwesen meiner Freunde). Ich kann aber auch Dinge großartig finden, wie z.B. Hundewelpen (die sind einfach super). Außerdem erzähle ich sehr gerne Witze, die ich lustig finde (auch zum Leidwesen meiner Freunde). Ich bin aktuell noch Schüler in der 13. Klasse, aber voll (nicht) bereit, danach ins richtige Leben zu starten.

Problem meiner Generation

Ich muss loswerden, dass meine Generation ein großes Problem hat….. War n‘ Witz……. Meine Generation (mich übrigens eingeschlossen) hat genug große Probleme, um jedem Psychiater in diesem Land zwei Porsche und einen Maserati zu finanzieren. Aber man kann ja schlecht über alle Probleme gleichzeitig sprechen. Ein Problem, könnte das Bedürfnis meiner Generation nach der eigenen Darstellung im Internet sein und das was dadurch ausgelöst wird.

Das Prinzip von Social Media ist es, das eigene Leben mit Wenigen, Einigen oder Vielen zu teilen. Das ist praktisch, um zu wissen, was Freunde und Individuen, an denen man Interesse hat, gerade so machen, was sie bewegt, was sie mögen und was nicht und das ist ja prinzipiell gar nichts Schlechtes. Schließlich interessiert es mich, was meine Freunde so machen, wann und wohin sie in den Urlaub fahren oder wo sie feiern gehen. Auch das ein oder andere Selfie betrachte ich ab und an gerne, denn leider stehe ich nicht mit jedem meiner Freunde im täglichen Kontakt; es kann vorkommen, dass ich manche Freunde einen Monat lang nicht kontaktiere oder sehe, und dann ist es schön zu wissen, dass sie jetzt blaue Haare haben. Dann gibt es noch diese Halb-Freunde, mit denen man sich zwar gut versteht, die gemeinsamen Gespräche jedoch selten nüchtern stattfinden. Aber trotzdem interessiert es mich ja, was diese gerade so treiben oder wie sie gerade aussehen. Des Weiteren gibt es natürlich noch die folgende Kategorie: Menschen die ich gerne besser kennen möchte, wenn ihr versteht was ich meine. Und hey, es ist doch super, wenn man jemanden kennenlernt, das Kennenlernen selbst einfach zu überspringen und alles über die Person zu erfahren, ohne zu fragen.

So und nun zur Kritik: Ist dieses Handeln meiner Generation wirklich das, was wir möchten? Einen Menschen kennenlernen, ohne ihn zu fragen? Und wollen wir wirklich immer auf dem Laufenden bleiben, ohne Gespräche zu führen, ohne Kontakt zu haben? Wollen wir wirklich Menschen kennen, die wir gar nicht kennen? Und versteht mich nicht falsch, ich rede liebend gerne über mich oder was ich erlebe, aber gerade deswegen bin ich dagegen mein Leben zu digitalisieren, denn wem erzähle ich denn, dass ich auf einem Konzert von meinem Lieblingskünstler gewesen bin, wenn mich niemand fragt, was ich letztes Wochenende gemacht habe, weil es ja schon jeder weiß? Na ja, ich kann es meiner Oma erzählen oder den Arbeitskollegen, die sich gar nicht wirklich für mich interessieren, schließlich folgen die mir ja nicht einmal auf Instagram. Dann doch lieber Oma. Die interessiert sich immerhin für mich und das, was ich mache, obwohl sie weder den Künstler kennt, noch seinen Namen richtig aussprechen kann – „Casper Oma, nicht Kasper“. Aber doch zeigt sie ehrliches Interesse – und zwar an mir als Person!

Nun muss ich zurückdenken an mein eigenes Interesse an dem Instagram Post von … von eigentlich annähernd egal wem, denn meistens ist die Teilhabe recht begrenzt: „Ohhh Anna (nicht existent) hat‘n Bild gepostet, wo sie aus dem Fenster guckt und nen Kalenderspruch drunter geschrieben, ich like das jetzt und gut ist.“ Obwohl es natürlich auch so laufen kann: „Ohhh Hubi (nicht existent) hat‘n Bild gepostet …. und mich markiert. Puh! Das kann ich nicht einfach nur liken, da muss ich wohl auch kommentieren, ABER WAS SOLL ICH AUF EINEN TYPEN, DER IN DEN SONNENUNTERGANG SCHAUT, schon kommentieren? Erst recht dann, wenn Auch wenn die Wellen des Lebens kaum zu sehen sind, hört man noch ihr Rauschen darunter steht! Ich meine, was soll das überhaupt bedeuten?“ Diese Reaktionen sind letztendlich aber eher unbedeutend. Wahrscheinlicher und problematisch ist es, dass ein Bild auf Instagram Gefühle wie Neid auslöst, es einen dazu bringt, das eigene Leben als schlecht zu empfinden.

Inszeniertes Abenteuer

Es ist nur logisch, dass man sich auf Social Media so positiv wie möglich darstellt, schließlich möchte man ja damit angeben, wie großartig das eigene Leben ist. Nur stellt sich doch nun die Frage, was wichtiger ist: Ob dein Leben großartig aussieht? Oder ob es großartig ist? Teilst du also dein Leben mit anderen oder formt das Teilen dein Leben? Isst du diesen krass aufgepimpten Pancake, mit zehnerlei Beeren und Soße aus Vanilleschoten, denen beim Reifungsprozess Mozart vorgespielt wurde, weil du da jetzt Bock drauf hast? Wenn ja, Respekt! Ich habe nicht einmal Bock, mir morgens Brötchen aufzubacken. Mein Frühstück besteht meistens aus dem, was ich so finde: Oft ist das Müsli (das gemeinerweise noch nie Mozart gehört hat). Und wenn Social Media nur dein Frühstück bestimmt, ist ja alles gut, aber wenn du dann die ersten drei Songs auf einem Konzert verpasst, um die perfekte Position für das perfekte Bild zu finden, dann ist es schon ziemlich schlimm. Und wenn du dann nur auf dem Konzert bist, um ein Bild zu machen, dann ist das wirklich verwerflich, weil du Arsch mir damit vielleicht sogar noch das Ticket weggeschnappt hast.

Reisen für die Selbstinszenierung

Ich denke, dass ein Mensch beim Reisen viel über sich selbst lernen kann, sich durch fremde Kulturen inspirieren lassen und vielleicht sogar einen Ort findet, an dem er bleiben möchte. Aber wenn du auf eine Reise gehst, um dich selbst zu finden, dann mach das doch bitte auch für dich! Reise, um dich selbst weiter zu bringen, und nicht, um deinen Followern zu zeigen, wie tiefgründig und interessant dein Leben ist. Es ist ja gar nicht verkehrt, wenn man seine eigene Reise mit anderen teilen möchte. Aber wenn man die Reise macht, um sie zu teilen, kann man sich dann noch sicher sein, dass man diese Reise wirklich für sich selbst macht? Ich sehe es so oft im Club, dass da Menschen sind, die sich sichtlich unwohl fühlen. Und das nicht, weil sie zum ersten Mal dort sind, sondern weil es einfach nicht ihr Ding ist. Diese Leute bleiben zwei Stunden dort, trinken vielleicht etwas und verschwinden wieder. Aber am nächsten Morgen sehe ich dann den About last night-Post und frage mich, was denn den Abend für sie so interessant gemacht hat? Es scheint, dass diese Leute all das nur tun, um es zu posten, um zu zeigen wie toll das eigene Leben ist.

Um ehrlich zu sein, muss ich sagen, dass es auch für mich immer mal wieder ein Argument für den Konzertticketkauf war, es dann posten zu können. Ich habe es nicht nur deshalb gekauft, aber es ging in die Richtung. Ich meine, es ist ja auch aus vielen Gründen verlockend, so zu tun, als wäre das eigene Leben ein einziges Abenteuer. Ich kann damit meiner Ex beweisen, wie großartig mein Leben ohne sie ist, ich kann meinem Crush zeigen, wie interessant und unternehmungslustig ich bin, ich kann meinen Feinden zeigen, wie viel besser mein Leben im Vergleich zu ihrem ist. Aber ist das, was ich da dann vorgebe zu sein, noch ich? Tue ich all das für mich? Oder tue ich es für die anderen? Würde ich dasselbe tun, wenn niemand es erfahren würde, außer vielleicht meine Freunde? Bin ich in meinem realen Leben überhaupt genauso glücklich, wie ich es in meinem digitalen darstelle?

Geheimnisse

Ich denke, dass man sich genau diese Fragen stellen sollte, bevor man sich zu etwas entscheidet, denn wenn man das tut, dann ist Social Media eine großartige Möglichkeit, Gleichgesinnte zu finden, Menschen mit denselben Interessen, Menschen, die das, was du postest, wirklich interessiert, Menschen, denen in den Kommentaren etwas anderes einfällt als “Hübsche (Flammen Emoji)“. Und wenn ihr kein brennendes Interesse für Kalendersprüche und Glückskekse habt, dann klaut denen bitte bitte auch nicht mehr deren Sprüche – die heben euch nämlich nicht von der Masse ab und machen euch interessant, sondern bewirken das genaue Gegenteil. Und lasst noch Platz für Unterhaltungen, postet nicht alles, was an eurem Leben interessant ist, denn es sollte ein Privileg von wenigen sein, an eurem Leben teilzuhaben, euch zu kennen und zu verstehen. Denn welches Exemplar ist begehrenswerter: Das vollständige Buch, von dem es nur eine Version gibt, die jeder haben kann ohne irgendwelche Geheimnisse die ungelüftet bleiben? Oder das Buch, welches man nicht vollständig versteht, voller Ungereimtheiten und Geheimnisse, von dem es aber noch eine Version gibt, diese ist zwar schwerer zu erreichen, aber deckt diese Ungereimtheiten und Geheimnisse auf, jedoch nur für jene, die es auch interessiert, die bereit sind, etwas für dieses Buch zu tun?

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