Jeder kennt es, kaum einer redet gerne darüber: Eine Prüfung wurde nicht bestanden, der Traummann macht mit einem Schluss oder auch die dreißigste Bewerbung führt noch nicht einmal zu einem Vorstellungsgespräch. Zu gerne schweigen wir diese Momente weg und hoffen, dass niemand von unserem Versagen Wind bekommt. Wir wollen nicht unseren guten Ruf verlieren, negativ auffallen oder irgendwelchen Anforderungen nicht gerecht werden. Doch warum grämen wir uns so davor? Kann eine Niederlage nicht auch sehr lehrreich sein?
Was ist das Scheitern?
Wenn wir ein angestrebtes Ziel durch eine vorangegangene Handlung nicht erreichen, sprechen wir von einem Scheitern. Niederlagen finden sich in zahlreichen Bereichen wieder: Ein Experiment kann misslingen, eine Ehe scheitern, ein Studium nicht bestanden werden oder das Aufhören mit dem Rauchen nie glücken. Während man Siege und bestandene Examina feiert, fühlt sich das Scheitern eher bitter an. Häufig zweifelt man danach an sich selbst, fragt sich, warum man dazu nicht in der Lage war, und neigt nicht selten dazu, die Niederlage in einer Lebenssituation auf viele weitere zu beziehen.
Insbesondere wir Deutschen können nicht gut damit umgehen, wenn uns etwas einfach nicht gelingen will. Die German Angst charakterisiert uns international, da wir als sicherheitsliebend gelten. Das macht sich auch in dem Gründungswillen der Deutschen bemerkbar. Kaum ein westliches Land hat so wenig Ambitionen, die Risiken einer Selbstständigkeit einzugehen wie Deutschland. Dabei würden wir in einem Sozialstaat noch nicht einmal so weit fallen, dass wir Hunger leiden müssten oder kein Dach über den Kopf hätten, wenn der Sprung in die Unabhängigkeit nicht gelingen will. Es scheint eine kulturelle Eigenschaft zu sein, die wir uns lange anerzogen haben. In den USA wird hingegen mehr gewagt und der Misserfolg wird dort als weniger einschneidend betrachtet. Es gehört nun mal zum Leben dazu.
Das Scheitern vermeiden
Da uns scheinbar die Angst vor dem Scheitern in Deutschland in die Wiege gelegt wird, haben wir zahlreiche Strategien entwickelt, um diesem unguten Gefühl stets zu entwischen. Wir haben festgestellt, dass das Verharren in einem gewohnten Umfeld, mag es auch noch so unangenehm sein, Wunder wirkt, um niemals Misserfolge zu erleiden. Das Vermeiden von Veränderungen stellt uns vor keine Herausforderung. So laufen wir nie Gefahr, die Kontrolle zu verlieren.
Welche Frage einen da sofort in den Sinn kommt ist die, ob wir denn nicht scheitern, wenn wir in Situationen und Handlungsmustern verweilen, die uns nicht glücklich machen. Bequemlichkeit kann einen lange vorgaukeln, glücklich zu sein. Ob es die betrogene Ehefrau ist, die mit allen Mitteln versucht, die Untreue ihres Mannes zu ignorieren oder der Jura-Studierende, der sich immerzu einredet, dass er nach dem Studium bestimmt die Angst vor dem Gericht verliert – wir sind Meister darin, uns selbst etwas vorzumachen. Der Aufbruch ins Ungewisse stellt für viele die größere Hürde dar als das Aushalten von Unannehmlichkeiten, was im besten Fall lediglich zur Langeweile führt.
Warum Scheitern etwas für Gewinner ist
2008 hielt J.K. Rowling eine Rede vor den Harvard-Absolventen. Neben der Fähigkeit zur Empathie riet sie den jungen Studierenden dazu, Mut zum Scheitern zu haben. In dieser Rede beschreibt sie ihren eigenen Lebensweg, in dem der Misserfolg eine große Rolle spielte. Nach dem Studium, was sie gegen den Rat ihrer Eltern in Altphilologie abschloss, hatte sie Schwierigkeiten, einen Job zu finden und stand letztendlich zeitgleich mit der Geburt ihres Kindes vor dem finanziellen Tiefpunkt ihres Lebens. Als Sozialhilfeempfängerin plagten sie Existenzängste. Doch schon bald merkte sie, dass diese Niederlage ihr Mut für das Beschreiten ganz anderer Lebenswege gab. Schon Janis Joplin wusste: „Freedom is just another word for nothing left to lose“. Wer nichts zu verlieren hat, kann auch alles ausprobieren und so begann Rowling ihren eigentlichen Lebenstraum anzupacken – das Schreiben! Sie empfand ihren Tiefpunkt als das Fundament für ein neues und besseres Leben und wie wir alle wissen, war das auch der Beginn eines Welterfolgs. Auch die wahren Freunde kristallisierten sich in diesen Lebensumständen heraus, was eine wertvolle Erfahrung für ihre Zukunft darstellte.
Nicht nur die britische Autorin musste viele Niederlagen einkassieren, um zu dem vorzudringen, was sie wirklich leben wollte. Fast alle uns bekannten erfolgreichen Sportler, Schauspieler, Wissenschaftler oder Musiker scheiterten sehr oft, bevor sie die ersten Erfolge verbuchen konnten. In jeder Biografie dieser Persönlichkeiten kann man nachlesen, dass sie Ruhm und Anerkennung erst nach zahlreichen Misserfolgen erlangten. Vielleicht ist es genau diese Eigenschaft, die sie von erfolglosen Menschen unterscheidet. Das wahre Talent und die Stärke eines Menschen zeigen sich erst darin, wie er wieder aufstehen kann, wenn er gestürzt ist.
Scheitert!
Also habt den Mut zu scheitern! Wir können dem sowieso nicht entkommen, denn vor einem Leben ohne Stürze sind wir alle nicht gefeit. Lernt aus den Rückschlägen, erfindet euch neu und seht sie als Möglichkeit, neue Lebenswege einzuschlagen. Die Scham, die diese Situation allzu oft erdrückt, verschleiert die zahlreichen Möglichkeiten, die ein Neuanfang birgt. Wenn man sich von der Angst vor dem Scheitern befreit, kann man mehr Risiken eingehen, seine Träume anpacken und Wege gehen, die sich vielleicht vorerst unbequem und ungewöhnlich anfühlen, irgendwann aber vielleicht so viel besser werden als die bisherigen.