Hard Land von Benedict Wells: Von ersten Malen

Wahrscheinlich ist die Zeit zwischen dem 15. und 20. Lebensjahr für fast alle die einprägsamste gewesen. Es ist die Phase der ersten Male: Die erste große Liebe, der erste Liebeskummer, das erste Mal seine Grenzen kennenlernen, das erste Mal der Antwort auf die Frage näherkommen, wer man eigentlich ist und wer man nicht sein möchte. Benedict Wells schreibt in seinem Roman Hard Land über das entscheidende Jahr im Leben des fünfzehnjährigen Sam.

Der Außenseiter

Nie gehörte Sam zu den Mutigen seiner Klasse, klein und schmächtig führt er ein unscheinbares Dasein. Ihn zeichnet vielmehr aus, dass er vor fast allen Dingen Angst hat. Sein bestes Schulfach ist die Mathematik, wahrscheinlich weil die Lösungen, die nur durch logisches Denken zu erreichen sind, Klarheit und Sicherheit verschaffen. Seine Mutter ist seine engste Vertraute, die ihn durch Panikattacken lotst, sein Anker ist, aber ihn auch mit ihren bohrenden Fragen auf die Nerven gehen kann. Sie kämpft seit einigen Jahren gegen den Krebs.

Jean, Sams Schwester, ist ein ganz anderer Typ als er. Stets machte sie sich unbeliebt bei Autoritäten, da sie sich durch ihr Engagement bei der Schülerzeitung für politische Themen einsetzte. Nun lebt sie in L.A. als Drehbuchautorin einer bekannten Serie und lässt sich kaum noch zuhause blicken.  Sam beneidet sie um ihren engen Draht zu dem stillen Vater, der wenig Interesse an ihm zeigt.

Ferienjob im alten Kino

Um den Tyranneien seiner riesigen Cousins aus dem Weg zu gehen, nimmt Sam einen Ferienjob im alten Kino seines Heimatorts an. Ohne große Erwartungen lässt er sich dort einarbeiten, stellt aber schnell fest, dass die drei jungen Angestellten eng miteinander befreundet sind. Nach anfänglichen Schwierigkeiten schließen sie Sam immer mehr mit ein in ihren engen Kreis. Das ist die Initialzündung für den ängstlichen 15-jährigen, die ihn aus seinem Kokon hervorlockt. Es folgen erste Küsse, erste Abstürze durch Alkohol, das erste Mal wahre Leidenschaft entdecken, sich verlieben und Grenzen überschreiten. Auch wenn das der letzte Sommer vor dem College für die drei neugewonnen Freunde sein wird, tun sie alles dafür, damit dieser unvergesslich wird.

Insbesondere Kirstie fasziniert ihn mit ihrem Mut und ihrer eigensinnigen Art zu denken. Immer wieder fordert sie ihn heraus, lockt ihn Schritt für Schritt aus seinem Kokon und zeigt ihm, zu was er alles fähig ist. Auch in seinen schwärzesten Stunden ist sie die Einzige, die einen Zugang zu ihm findet.

„Ich stellte mir vor, dass das eigene Ich aus vielen Puppen bestand, aus mutigen und ängstlichen und stillen und lauten, und überall hingen die Fäden, Doch man konnte nie sehen, wer sie in der Hand hielt. Wer der innere Puppenspieler war.“

Benedict Wells in Hard Land

Tod der Mutter

Doch dieser Sommer ist nicht nur von Euphorie gefüllt, sondern Sam muss auch lernen, mit dem größten Verlust seines Lebens umzugehen. Seine Mutter verliert den Kampf gegen die Krankheit endgültig und stirbt in der Nacht seines sechszehnten Geburtstags. Seine engste Vertraute hinterlässt eine große Lücke in seinem Leben und konfrontiert ihn das erste Mal mit tiefster Trauer.

„Ich dachte nur noch von Tag zu Tag, und allmählich begriff ich: Trauer ist kein Sprint, Trauer ist ein Marathon. Und auf dieser Strecke gab es Stellen, an denen es besser lief, und andere, an denen ich kaum Luft bekam.“

Benedict Wells in Hard Land

Die existenziellen Fragen des Lebens

Hard Land hat den Jugendbuchpreis erhalten, was einen in dem Glauben lassen könnte, dass Wells ein reines Jugendbuch geschrieben hat. Dennoch findet der Roman viele Lesende in allen Altersklassen. Warum? Jede und jeder kennt diese Zeit in der Jugend, in der so viel Entscheidendes passiert. Es mag auf dem ersten Blick banal erscheinen, das erste Mal betrunken zu sein oder rauschartige Abende mit Freunden zu verbringen, aber das ist es nicht. Es ist die Zeit, in der man sich zum ersten Mal mit sich selbst auseinandersetzt. Was stört einen an gewissen Menschen? Warum schätzt man genau diese Person so sehr? Wer ist man – waghalsig, mutig, ängstlich oder vernünftig? Sicherlich wiederholen sich diese entscheidenden Zeiten im Leben immer wieder, aber in einer so hohen Konzentration findet man sie nur in der Jugend.

Es leugnet sicherlich keiner, dass die erste große Liebe und der erste Herzschmerz die Weichen gelegt haben für zukünftige Beziehungen, die nie wieder so von Naivität getränkt waren wie in der Jugend. Und genau deshalb sind diese ersten Male so bedeutsam. Keine Erfahrungswerte beeinflussen diese Handlungen und machen sie wahrscheinlich zu den authentischsten des eigenen Lebens. Sam erlebt diese Momente mit einer Intensität, die er nie wieder spüren wird, wenn er ähnliches wiederholt durchleben wird.

Lesbar?

Hard Land ist ein Roman, der uns alle betrifft. Entweder sind wir jung oder waren es, wenn wir dieses Buch zur Hand nehmen und jeder einzelne Lesende wird es durch eine andere Brille betrachten. Das, was Sam in diesem Sommer geschieht, ist keineswegs etwas, was jedem widerfährt. Aber das, was an Hard Land für eine so breite Leserschaft faszinierend ist, ist das Gefühl. Zwischen Lachen und Weinen hin- und hergerissen saugt man jede Seite des Buches auf und fragt sich, warum man sich so verstanden fühlt, obwohl der eigene Sommer des Lebens ein ganz anderer war. Benedict Wells ist ein Meister der Darstellung von großen Gefühlen. Nichts wirkt dabei klischeehaft oder affektheischend. Vielmehr vermischt sich Sam immer mehr mit einem selbst, dass man sich am Ende fast kneifen muss, um aus dem Missouri der 80er Jahre wieder in die Gegenwart zurückzukehren.  

Hard Land von Benedict Wells, 352 Seiten, 14 Euro (Taschenbuch)

Wenn du mehr über das Buch erfahren möchtest, dann findest du hier Informationen: https://www.hard-land.de

Auch der Roman Vom Ende der Einsamkeit von Benedict Wells wurde bereits auf denkbar vorgestellt: https://www.denkbar.net/lesevorsaetze-fuer-das-neue-jahr-5-inspirierende-lektueretipps/

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