Interview: Nachgefragt bei Safia Monney

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Ein Gott, der weiblich ist und fernab von Perfektionismus? Ein Teufel, der lieben kann? Safia Monney krempelt in ihrem Roman „Ich traf Gott und sie heißt Miranda“ herkömmliche Klischees um und betrachtet die Welt aus einem völlig neuen Blickwinkel. Die deutsch-französische Autorin lebt in Paris und schreibt in ihren Büchern unter anderem über die moderne Frau und mit welchen Stigmatisierungen sie zu kämpfen hat. Welche Form von Freiheit ist heutzutage möglich? Brauchen wir noch einen Gott? Ihr Roman ist weder ein schreiender Feminismusroman noch ein belehrendes Sachbuch, sondern er packt die großen Themen mit einer Portion Humor an und hinterlässt die Lesenden schmunzelnd, aber auch nachdenklich. In dem Interview spricht sie von Heimat, Freiheit und der Frauenrolle in Literatur und Schauspiel.

Frederike Köhl: Bevor wir zu deinem Buch kommen: Du wohnst in Paris, aber veröffentlichst deine Romane in Deutschland bei dem Rowohlt Verlag. Was hat dich in die Stadt der Liebe verschlagen?

Safia Monney: Von klein auf hatte ich einen starken Bezug zu Frankreich: meine Mutter kommt aus Frankreich, und ich bin nahe der deutsch-französischen Grenze im frankophilen Saarbrücken aufgewachsen. Nach dem Studium – erst Wien, dann München -, wollte ich wissen, wie es ist, in Frankreich zu leben. Ursprünglich dachte ich, dass ich nur ein Jahr bleiben würde, aber mittlerweile lebe ich schon seit 14 Jahren hier. Vermutlich, weil Paris die erste Stadt ist, in der ich mich zu Hause fühle. Die Leute fragen hier nicht, woher ich komme. Es ist eine multikulturelle Metropole, in der sowas keine Rolle spielt – zwar gibt es durchaus Diskriminierung und Rassismus, aber nie wird infrage gestellt, dass man trotz allem Pariser*in ist. Und das ist es, was ich so sehr an dieser Stadt schätze. Ich gehöre als Pariserin dazu. Ich darf hier zu Hause sein.

F.K: Hast du bereits auch französische Arbeiten veröffentlicht?

S.M.: Ich habe die Drehbücher für Werbeclips im Auftrag des Deutsch-Französischen Jugendwerks auf Französisch geschrieben. Eigentlich schreibe ich aber nur sehr intime Texte auf Französisch, die ich niemandem zeige, Tagebuch oder Liebesgedichte. Einen Roman auf Französisch habe ich mir noch nicht zugetraut. Zwar spreche ich perfekt Französisch, aber ich habe Angst, in der Literatur gewisse Nuancen nicht richtig rüberbringen oder den Stil nicht so wiedergeben zu können, wie ich mir das vorstelle. Tief in mir drin weiß ich aber, dass es eine unberechtigte Angst ist. Und vielleicht ist es sogar ein typisches Frauenproblem, sich beim geringsten Zweifel inkompetent zu fühlen, während ein Mann in der gleichen Situation vermutlich schon mehrere Bücher auf Französisch rausgehauen hätte. Ich wünsche mir, diese Hürde bald zu überwinden und etwas von mir auf Französisch zu veröffentlichen.

F.K: Dein zuletzt erschienenes Buch heißt „Ich traf Gott und sie heißt Miranda“. Ein recht außergewöhnlicher Titel, der einen zunächst ins Grübeln versetzt. Nach den ersten Seiten des Romans wird deutlich, wer Miranda ist: Sie ist Gott und alles andere als vollkommen. Wie entstand diese klischeefreie Figur in deinem Kopf?

S.M.: Miranda tauchte in meinem Kopf auf, doch abgesehen davon, dass ich wusste, dass sie Gott ist, wusste ich recht wenig über sie oder ihren Charakter. Recherche war wichtig, vor allem aber auch die Auseinandersetzung mit dem Recherchierten, und zwar im Dialog mit Miranda.  

Die Entstehung meiner Figuren immer ein eher mystischer Prozess. Plötzlich tauchen sie aus dem Nebel meiner Gedanken auf und nehmen Kontur an. Je länger ich Zeit mit ihnen verbringe, desto mehr erfahre ich über sie und ihre Geheimnisse. Nicht ich forme die Figuren, sondern sie erzählen und zeigen mir, wer sie sind.

Es ist ein intuitiver Prozess, ein schrittweises Kennenlernen.  Bevor ich mit dem eigentlichen Schreiben des Romans beginne, führe ich oft schriftliche Dialoge mit meinen Figuren, um mehr über sie zu erfahren; wie sie ticken, wie sie sprechen und was sie bewegt. Und je weiter ich mit ihnen in die Geschichte eintauche, desto besser verstehe ich, warum sie so handeln wie sie handeln. Das ist hilfreich fürs spätere Überarbeiten. Oft ändere ich dann Passagen vom Anfang der Geschichte, vor allem Dialoge, weil ich nach der Rohfassung wirklich weiß, wie die Figuren beschaffen sind. 

Speziell bei Miranda war es so, dass ich sie im Grunde erst zeitgleich mit meiner Romanheldin Maike kennengelernt habe, der eigentlichen Hauptfigur des Romans. Alles, was Maike über Miranda erfährt, habe auch ich in dem Moment erst entdeckt. Genau das ist es auch, was mir am Schreiben so Spaß macht: wenn Dinge passieren, oder die Figuren Sachen anstellen, mit denen ich nicht gerechnet hätte. Schreiben bedeutet für mich, Beobachterin einer Geschichte zu sein, die ich selbst erst entdecke.

Ich denke, wenn man den Figuren die Freiheit lässt, sich frei zu äußern und ihren Weg zu gehen, sie also wirklich zum Leben erweckt, dann können daraus nur komplexe Charaktere entstehen und man entgeht jeglicher Klischee-Falle. Das ist zumindest meine bisherige Erfahrung.  

F.K: Nicht nur Gott nimmt eine eher untypische Rolle in der turbulenten Geschichte ein, sondern auch andere biblische Figuren wie die Erzengel oder der Teufel. Du scheinst die Schöpfungsgeschichte neu zu erfinden und das religiöse Schwarz-Weiß-Denken auflösen zu wollen. Niemand ist fehlerlos, noch nicht einmal Gott oder die Erzengel. Glaubst du an einen Gott? Und wenn ja, ist er/sie in deiner Vorstellung so unvollkommen wie in deinem Roman?

S.M.: Wenn ich das Elend in der Welt sehe und die Ungerechtigkeiten, die Kriege und das soziale Gefälle zwischen arm und reich, fällt es mir schwer, an einen unfehlbaren, gütigen Gott zu glauben. Hinzu kommt, dass die Menschen vor den monotheistischen Religionen an andere Götter und Göttinnen glaubten. Wenn es also von jeher nur einen einzigen Gott gibt, weshalb hätte dieser Gott sich nicht bereits in der Steinzeit oder bei den Alt-Ägyptern zu erkennen gegeben? Vielleicht gibt es trotzdem eine einzige Quelle, die uns erschaffen hat, bloß glaube ich nicht, dass diese in irgendeiner Weise gütig ist oder moralische Ansprüche hätte. Für mich liegt etwas Raues und Rohes im Ursprung der Welt. Um das zu spüren, muss man nur in den Atlantik rausschwimmen und die Wucht der Wellen spüren, oder Geparden beim Jagen zusehen.  Es ist doch alles ein einziges Fressen und Gefressenwerden, ein Überlebenskampf.  

Eher als an einen Schöpfer, glaube ich an das Universum, an Energien, und dass alles aufeinander Einfluss hat, ein ewiger Reigen, ein bisschen wie in dem Film „Interstellar“. Es ist der Glaube an etwas wissenschaftlich Erklärbares, hinter das wir Menschen bisher nicht gekommen sind, und daher erscheint es uns noch mystisch.

F.K: Noch nicht einmal das Gute ist durchweg gut oder das Böse durch und durch schlecht. Das Gute flucht und das Schlechte liebt. Spiegelt dieser Gedanke dein eigenes Weltbild wider?

S.M.: Auf jeden Fall. Eine Geschichte hat immer mindestens zwei Wahrheiten. Das sagt auch die Figur Jonas in meinem Roman im Hinblick auf Luzifer. Ob etwas als gut oder böse bewertet wird, hängt immer vom Blickwinkel ab, vom Kontext und nicht zuletzt auch von den moralischen Werten einer Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte. Ebenso ist die Definition von Gut und Böse ortsgebunden. Wenn man etwa eine indonesische Zeitung liest, eröffnet sich einem ein völlig anderer Blick auf die Welt, mit anderen Schwerpunkten und Wertesystemen. Deswegen finde ich es auch wichtig, alte Bücher, deren Werte wir mit unseren heutigen Moralvorstellungen nicht mehr vereinbaren können, trotzdem nicht zu verändern oder gar zu verbieten. Im Gegenteil, es ist wichtig, auch diese Bücher zu lesen, um zu begreifen, wie komplex Gut und Böse sind. 

F.K: Irgendwie erinnert mich dein Roman an den Kerngedanken des Existenzialismus. Immer wieder wird deutlich, dass der Mensch verantwortlich für sein Leben ist und sich nicht darauf ausruhen sollte, dass höhere Mächte die Entscheidungen für sie treffen. Spannend ist hier der Konflikt, den Maike mit Miranda, Gott, hat, zum Thema Genforschung: Miranda bestellt ein perfektes Messias-Baby bei der der Forscherin Maike, was diese mit ihrem moralischen Verhaltenskodex als Wissenschaftlerin eigentlich nicht in Einklang bringen kann. Sind wir die einzigen Verantwortlichen für unser Handeln?

S.M.: Auf jeden Fall. Ich finde, dass jeder Mensch für sein Handeln verantwortlich ist. Bloß geben viele diese Verantwortung lieber ab, vermutlich aus Angst, zu versagen. Es ist einfacher, andere oder das Schicksal für die eigenen Niederlagen verantwortlich zu machen. Dabei macht einen das nicht nur unglücklich, sondern zudem fühlt man sich fälschlicherweise auch noch hilflos, ausgeliefert. Denn gibt man die Verantwortung ab, dann gibt man auch die Freiheit auf, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und so zu gestalten, wie man es sich wünscht. Im Roman stört es Miranda wahnsinnig, wenn Leute sich über etwas beklagen, aber aktiv nichts dagegen unternehmen, um es zu ändern. Ich sehe das auch so, aber ich weiß selbst, dass es nicht einfach ist, immer Verantwortung zu übernehmen. Gerade im Alltag kostet es Kraft, sich aus der Routine und von den Normen zu befreien, Abstand zu nehmen und zu erkennen: „Stopp. Ich muss das alles doch nicht so machen, ich kann es doch auch anders angehen, ich bin diejenige, die entscheidet.“ Das ist schwierig, aber so wichtig, damit wir unsere Freiheit nicht verlieren.

Freiheit ist das übergeordnete Thema all meiner bisherigen Romane. Die Freiheit eines jeden Menschen, selbstbestimmt über sein Leben entscheiden zu können und es nach seinen Wünschen zu gestalten – davon sind wir leider weit entfernt. Die Entwicklung ist ja derzeit sogar rückläufig. Hart erkämpfte Freiheitsrechte wie das auf Privatsphäre und Meinungsfreiheit sind dabei, untergraben zu werden. In manchen Ländern gilt neuerdings wieder ein Abtreibungsverbot. Die Freiheit über den eigenen Körper bestimmen zu dürfen, ist somit zunichte gemacht.

Wir müssen Verantwortung für uns selbst übernehmen, sonst verlieren wir sehr bald alles.

F.K: Was mir beim Lesen auch immer wieder aufgefallen ist, dass du durch kleine und gut gesetzte Spitzen die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft thematisierst. Insgesamt kann man sagen, dass die Frauen bei dir an der Macht sind: Maike ist eine exzellente Forscherin und Miranda ist Gott! Die Männer wirken meist weniger erfolgreich oder haben sich ihren Erfolg nur erschlichen. Wie stehst du zum Thema Feminismus? Wie siehst du deine eigene Rolle in der Gesellschaft als Frau?

S.M.: Schon immer ging es mir darum, als Frau ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Aber lange Zeit lief das unterbewusst ab. Ich wusste bloß: ich will selbstständig sein, mein eigenes Geld verdienen und nicht von einem Mann abhängig sein. Erst mit Anfang 30 habe ich begonnen, mich bewusst mit Feminismus zu beschäftigen, nämlich, als mich eine Freundin darauf ansprach. Zwar hatte ich damals schon selbst oft genug erfahren, dass einige Dinge im (Berufs-)Alltag schwierig und kompliziert waren, weil ich eine Frau bin. Aber bis dahin hatte ich es einfach hingenommen als eine Hürde, die frau zwar überwinden kann, jedoch die Hürde an sich nicht wegzudenken ist. Ich hatte den Eindruck, dass die Regeln in unserer Gesellschaft einfach so sind, und ich irgendwie versuchen muss, damit klarzukommen. Wie nichtverhandelbare Spielregeln.

Als ich etwa anfing, als Schauspielerin zu arbeiten, erschien es selbstverständlich, dass es mehr Männer- als Frauenrollen im Theater und Film gibt. Oder dass Frauen im Showbusiness weniger verdienen als Männer.  Ebenso, dass Leute in der Branche ungeniert von der sogenannten „Besetzungs-Couch“ sprachen und Frauen diese tatsächlich nutzten, um Karriere zu machen, wie z.B. Veronica Ferres. All das habe ich damals als unveränderliche Strukturen empfunden und versucht, mich darin irgendwie als Frau durchzukämpfen, um mir mein eigenes Einkommen zu sichern. Heute finde ich es verrückt, dass ich diese Missstände einfach hingenommen habe.

Als 2018 die #metoo-Bewegung losging, dachte ich anfangs: jahrelang versuche ich mich diesen bescheuerten sexistischen Regeln anzupassen und die Codes zu entziffern, und jetzt wird alles über den Haufen geworfen? Letzten Endes finde ich es natürlich gut, denn es war höchste Zeit, dass so etwas passiert, aber anfangs fand ich das trotzdem doof. Weil ich jahrelang zu lernen versucht hatte, mich in ein System zu integrieren, von dem nun plötzlich gesagt wurde, dass es falsch war. Und noch dazu hatte ich die ganze Zeit gewusst, dass es falsch war, aber gedacht, dass ich keine Wahl habe und mich anpassen muss, um nicht unterzugehen. Was hätte ich auch anderes tun sollen? Ich war ein kleiner Fisch. Um etwas zu bewegen, brauchte es mächtige Leute wie es nun bei #metoo der Fall war.

Vor #metoo wäre mein jetziger Roman auch gar nicht veröffentlicht worden, weil es bis dahin eigentlich nur möglich war, über Frauen im sogenannten „chick lit“ (chicken literature)/Romantic Comedy Genre zu schreiben – ein kritischer, frecher Roman über Gott als Frau wäre den Verlagen zu riskant gewesen, weil es nicht dem zuckersüßen Image der Frauenfiguren in Romantic Comedies entspricht. Ein paar Jahre zuvor hatte ich es tatsächlich mit einer anderen Geschichte über Frauen versucht, aber mir war damals vom Verlag nahegelegt worden, lieber wieder über Männer zu schreiben. Ich bin sehr dankbar, dass sich die Zeiten nun geändert haben und es möglich ist, viel freier und vielseitiger über Frauen zu schreiben.

Der Maike aus meinem Roman geht es ähnlich wie mir: sie versucht das Frauenbild in den Zeitschriften zu entziffern und nachzuahmen, findet es aber im Grunde total befremdend und erkennt sich darin als Frau nicht wieder. Trotzdem versucht sie es, und zwar einzig, um von der Gesellschaft akzeptiert zu werden und hoffentlich irgendwie einen Partner zu finden. Maike ist eine Karrierefrau, die sich ein Kind wünscht. Aber wünscht sie sich wirklich ein Kind oder will sie es vielleicht nur, weil sie den Druck der Gesellschaft spürt, die es von ihr erwartet und sie erst dann als legitime Frau anerkennen wird? Ist frau erst Frau, wenn sie Mutter geworden ist? Manchmal fühle ich mich wie ein Alien, weil ich eben keine Mutter geworden bin. Es ist als würde die Frau trotz der vielen Möglichkeiten, die ihr heute geboten werden, trotzdem noch in erster Linie nur darüber Anerkennung erhalten, ob sie ein Kind bekommen hat. Ich finde das absurd, und es war mir wichtig, das in meinem Roman zu hinterfragen.

Im Kern versuche ich zu entschlüsseln, was eine Frau in ihrem Wesen ausmacht.

Es gibt diese Tendenz von starken Frauen, sich an Männern messen zu wollen: „Gefühle und Sex kann ich trennen wie ein Mann.“ Oder: „Ich bin so Karriere-fokussiert wie ein Mann.“ Da frage ich mich, wie befreit sind diese Frauen wirklich? Warum den Mann nachmachen wollen? Mir erscheint es manchmal, als wüssten wir heute gar nicht mehr, wie eine Frau wirklich ist. Und genau darum geht es in meinem Roman – Wenn die Frau sich nämlich endlich aus ihrem bisherigen Rollenkorsett befreit hat und wir wirklich Gleichberechtigung erlangen, dann fragt sich: Wer und wie ist die Frau wirklich? Was macht ihr Wesen aus?

Miranda und Maike sind zwei sehr unterschiedliche, aber freiheitsliebende Frauen, die jede auf ihre Weise versuchen, herauszufinden, was es eigentlich bedeutet, eine Frau zu sein.

Wichtig war mir hier auch, dass Gleichberechtigung nicht heißt, dass die Frau plötzlich alles machen muss: Karriere, Kinder und Heiraten. Gleichberechtigung ist für mich synonym für Freiheit, als Frau ein selbstbestimmtes Leben führen zu dürfen, und zwar ohne ein vorgegebenes Design. Obwohl es leider meist noch schräg angesehen wird und im Alltag noch nicht ganz akzeptiert zu sein scheint, ist es in unserer westlichen Gesellschaft dennoch möglich, als Frau ein solches Leben zu gestalten. Ein wichtiger Schritt, den wir den Frauenbewegungen der vergangenen Jahrzehnte verdanken. Trotzdem sind wir noch weit entfernt von einer wirklich gleichberechtigten Welt.

Mit radikalem Feminismus kann ich allerdings nichts anfangen. Meiner Meinung nach verfolgt er andere Ziele als Gleichberechtigung, weil er in seiner Radikalität die Freiheiten anderer – nämlich all der Gruppen, die ihm nicht angehören – einschränkt und zu unterdrücken versucht. Außerdem finde ich es zu einfach, nur einer einzigen Gruppe (weiße alte cis-Männer) die Schuld an allem zu geben. Natürlich ist es wichtig, zu analysieren, was schiefgelaufen ist, aber ich finde es nicht richtig und empfinde es als Zeitverschwendung, dann ausschließlich darauf rumzuhacken oder nun gar die Männer unterdrücken zu wollen. Wichtiger ist es doch, nach Lösungen für eine harmonische Zukunft zu suchen und diese auch umzusetzen. Genau die Frage stellt auch Miranda (Gott) in meinem Roman: wie wollen wir künftig zusammenleben?

F.K: Nun klingt es so, als ob dein Roman sehr ernst ist und voller moralischer Fragen steckt. Das ist aber nicht so. Es ist vielmehr eine göttliche Komödie, die einen an vielen Stellen die Tränen in die Augen vor Lachen treibt. Warum hast du den Humor als Verpackung dieser doch recht ernsten Themen gewählt?

S.M.: Spontan fällt mir dazu das berühmte Lied von Mary Poppins ein, in dem sie singt, dass „ein Löffelchen voll Zucker bittere Medizin versüßt“. Ich finde das Leben schon hart genug, deswegen möchte ich ihm so humorvoll wie möglich begegnen. So ähnlich verhält es sich für mich mit Humor und ernsten Themen.

In „Ich traf Gott und sie heißt Miranda“ werfe ich Fragen zu Religion, Genmanipulation und Feminismus auf. Humor war ein gutes Mittel, um diesen Themen eine gewisse Schwere zu nehmen, ohne sie dabei jedoch ins Lächerliche zu ziehen. Generell versuche ich immer, unterhaltsame Geschichten zu schreiben, die trotzdem zum Nachdenken anregen. Intelligente Unterhaltung, wenn man so will. Ich kann nur über Themen schreiben, die mir am Herzen liegen, darüber, was mich im Alltag bedrückt oder in meinem Leben beschäftigt. Trotzdem, oder gerade deswegen, möchte ich mich beim Schreiben auch amüsieren, und später dann hoffentlich auch die Leser*innen meiner Romane.

Schade finde ich, dass Unterhaltung von der Presse und Literaturkritik keine Anerkennung erhält und ignoriert wird. Als ob ein ernstes Thema an Wert verlieren würde, bloß weil es humorvoll behandelt wird. Dabei finde ich im Gegenteil, dass eine humorvolle Geschichte doch genauso tiefgründig sein kann, wie ein staubtrockener, bierernster Roman, mit dem Unterschied, dass man sich bei ersterem eben nicht zu Tode langweilt.

Vielleicht bin ich ein trauriger Clown und Humor meine Tarnung, hinter der sich Tragik verbirgt.

F.K: Nun noch zwei persönliche Fragen: Wenn du drei Bücher auf eine einsame Insel mitnehmen dürftest, welche würdest du auswählen und warum?

S.M.: Oh je, das ist schwierig! Es gibt so viele wunderbare Bücher! Auf einer einsamen Insel? Dann vielleicht „Year of the Monkey“ von Patti Smith, weil sie darin einsame Tage an der kalifornischen Küste verbringt, und die Geschichte so schön schräg und zutiefst berührend ist.

„Die Vermessung der Welt“ von Daniel Kehlmann über die großartigen Lebenswege und Entdeckungen des Mathematik-Genies Gauß und des furchtlosen Forschungsreisenden Humboldt. Die Geschichte macht einem Mut, vorgetrampelte Pfade zu verlassen, um Neues zu wagen und zu entdecken.

Und dann unbedingt „J’irai cracher sur vos tombes“ (Ich werde auf eure Gräber spucken) von Boris Vian. Sowohl Vian als auch seine Romane – und speziell dieser – sind für mich Sinnbild absoluter künstlerischer Schaffensfreiheit.

Passend dazu sagte Maxim Gorki einmal „Man muss nicht in der Bratpfanne gelegen haben, um darüber zu schreiben“. Leider sieht das nicht jeder so. Neulich wurde ich wegen meiner „ethnischen Zugehörigkeit“ für einen Schreibauftrag abgelehnt, weil die Figur, über die ich hätte schreiben sollen, deutsch-türkisch ist und ich das eben nicht bin. Offenbar muss man heutzutage bei gewissen Auftraggebern also leider doch ein Schnitzel sein, um darüber schreiben zu dürfen. Manche Medien-Unternehmen haben neuerdings sogenannte Diversitätsauflagen, vor allem in der Filmbranche. An sich ist die Grundintention eine gute, nämlich mehr Diversität in die Medien zu bringen und Minderheiten Zugang zur Branche zu verschaffen. Wenn aber ein Homosexueller nur noch Homosexuelle, oder ein Türke nur noch Türken spielen darf, geht meiner Meinung nach der Schuss nach hinten los. Es verschärft das Problem, das es ursprünglich lösen wollte. Das eigentliche Ziel war doch, dass es egal sein sollte, wie eine Person aussieht, welchen Namen sie trägt und welche sexuelle Orientierung sie hat. Statt nun aber endlich sagen zu können „Wir sind alle gleich und gleichwertig“ führen solche Diversitätsauflagen bloß zu weiterem Schubladendenken und zu Einschränkungen.

Und es amputiert die Fantasie. Recherchearbeit, Vorstellungskraft und Einfühlungsvermögen sind dann nicht mehr legitim. Kreativität – also, die Möglichkeit, neues zu erkunden, zu erleben und zu erschaffen – wird damit beschnitten. Ich finde das besorgniserregend. Sollten solche Auflagen Standard werden, dürfte man nur noch schreiben und spielen, was man selbst erlebt hat, und zwar entsprechend der Ethnizität, dem Gender und Geschlecht, denen man angehört. Worüber sollte ich dann noch schreiben dürfen? Nur noch über eine deutsch-französisch-irakische Frau, die jedoch keine Ahnung von der arabischen Kultur hat, weil sie deutsch-französisch aufgewachsen ist? Vielleicht könnte ich darüber genau ein Buch schreiben, und das wär’s auch schon. Ziemlich trist. Ich aber liebe es, mich in andere Figuren, Lebensweisen und Welten hineinzuversetzen. Auch Boris Vian liebte es, das zu tun. Undenkbar, dass er als weißer Franzose heute noch wie in „J’irai cracher sur vos tombes“ aus Perspektive eines Schwarzen in den USA schreiben könnte, ohne einen Riesenskandal loszutreten.

Ich wünsche mir hiermit, dass es weiterhin möglich sein wird, als Schriftstellerin frei und unzensiert über alles schreiben zu dürfen.

Freiheit, ja, darum geht es mir, immer.

F.K: Wie sieht für dich ein rundum perfekter Tag aus?

S.M.: Ein perfekter Tag ist, wenn ich es schaffe, vormittags meine 2.000 Wörter zu schreiben und das Gefühl habe, dass es gut ist. Dann schön brunchen, nachmittags mit Freunden in eine Ausstellung oder durch Paris spazieren, und am frühen Abend Freunde zum Aperitif treffen oder gemeinsam essen gehen und vielleicht noch in eine Spätvorstellung ins Kino.

Ich traf Gott und sie heißt Miranda von Safia Monney

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