Lesevorsätze für das neue Jahr: 5 inspirierende Lektüretipps

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Zum Ende eines Jahres fängt man an, über das vergangene Jahr nachzudenken: Was tat mir gut? Was werde ich nächstes Jahr anders machen? Welche Vorsätze werden im nächsten Jahr in die Tat umgesetzt? Von der Mystik eines Jahreswechsels kann sich wohl keiner in Gänze freimachen. Vielleicht ist es die Sehnsucht nach einem Reset, einem Neustart, die diese besondere Zeit mit Schaffenskraft auflädt. Für diejenigen, die im nächsten Jahr mehr lesen möchten, habe ich meine liebsten Inspirationsquellen aus 2022 zusammengetragen und hoffe, dass für den einen oder anderen ein passender Lektüretipp dabei ist.

Crossroads von Jonathan Franzen – Amerikanischer Familienepos

Als großer Jonathan Franzen Fan bin ich etwas voreingenommen an seinen neusten Roman herangetreten, aber wurde nicht enttäuscht. Crossroads ist der erste Teil einer Trilogie über eine Pastorenfamilie, die in einem Vorort von Chicago lebt. Man wird als Lesender mitten in die 70er Jahre Amerikas geworfen, setzt sich mit Glaubensfragen auseinander, der Kriegsdienstbereitschaft, Marihuana und der Frage nach dem Guten. Franzen zeichnet hier am Beispiel dieser vermeintlich normalen Familie eine Gesellschaft, die zwischen ihrem traditionellen Glauben und dem immer weiter um sich greifenden Liberalismus in den USA steht.

Zwischen Nächstenliebe und Egoismus suchen die fünf Familienmitglieder nach Antworten auf die großen moralischen Fragen im Leben: Was ist richtig? Kann man gut sein? Diese Vielfalt an spannenden zeitgeschichtlichen Themen sind dabei so raffiniert verpackt, dass man das Buch kaum zur Seite legen kann. Ein Pageturner von der ersten bis zur letzten Seite, der darauf hoffen lässt, dass der zweite Teil bald erscheint.

Generation Beleidigt von Caroline Fourest – Kritik an der linksidentitären Bewegung

Erst vor kurzem durchzog wieder eine Nachricht die sozialen Netzwerke: Reggae-Konzert in Bern wurde abgebrochen! Tatbestand: Es waren weiße Musiker. Somit mussten sie sich dem Vorwurf ergeben, kulturelle Aneignung zu betreiben, was die Rastafaris sicherlich beleidigen würde. Caroline Fourest beschreibt in ihrem Buch Generation Beleidigt den wachsenden Einfluss linker Identitärer, die sich überwiegend aus akademischen Kreisen entwickeln. Anhand zahlreicher Beispiele macht sie ihrem Ärger über eine Generation Luft, die eine Hochsensibilität propagieren, mit der jedes Kinderbuch, offene Meinungen und das bloße Adaptieren anderer Kulturen zur Beleidigung wird.

Damit richtet sie sich nicht gegen das Wahrnehmen und Benennen von Ungerechtigkeiten, sondern gegen das Überstülpen von Ungerechtigkeiten, die von bestimmten Bevölkerungsgruppen gar nicht so empfunden werden. Eine Gefahr sieht Fourest in dieser Bewegung, denn ein offener Diskurs ist kaum noch möglich, wenn er durch ständige Maßregelungen der linken Identitären mundtot gemacht wird. Letztendlich führt dieser Radikalismus genau dahin, was er so krampfhaft zu verhindern versucht: Er distanziert die Menschen voneinander, da jegliche Leichtigkeit aus einem Miteinander genommen wurde.

Dieses Buch benennt viele Probleme der heutigen Gesellschaft, die nicht direkt sichtbar sind. Es ist immer eindeutig, warum radikale Rechte nichts Gutes zu unserem Zusammenleben beitragen, aber ebenso die extremen Linken können dafür sorgen, dass Meinungsfreiheit eingeschränkt wird und ein gemeinsames Miteinander kaum noch möglich wird. Lesenswertes Buch, das zugleich unterhaltsam, aber auch informativ ist!

Zur See von Dörte Hansen – Eine balladenartige Familiengeschichte am Rande der Nordsee

Dieses Buch ist etwas Besonderes. Schon das erste Kapitel geht tief unter die Haut mit seiner sprachlichen Schönheit. Es liest sich fast wie ein Gedicht und lässt die Fantasie das raue Inselleben in der Nordsee zeichnen. Fast schmeckt man das Salzwasser auf den Lippen, man spürt den launischen Wind in den Haaren und schmunzelt über die Wellnesstouristen. Dörte Hansen beschreibt in ihrem dritten Roman Zur See das Leben der Familie Sander. Der Vater, der als Ornithologe auf einer einsamen Vogelinsel lebt, hat die Familie vor Jahren verlassen. Die drei Kinder, die aus der zerbrochenen Ehe hervorgegangen sind, sind mittlerweile erwachsen und kämpfen alle mit ihren eigenen Dämonen.

Anhand dieser Inselfamilie öffnet Hansen viele weitere gesellschaftliche Themenfelder. Der zunehmende Zerfall des ursprünglichen Insellebens geht einher mit immer mehr Touristen, die zur schnellen Erholung auf die Inseln reisen. Verklärt und blauäugig romantisieren sie alles und tapern mit wenig Bedacht durch die Vorgärten der Insulaner, die wenig davon preisgeben, was sich wirklich hinter den Fassaden abspielt. Hier wird von Veränderung erzählt, von dem Zerfall der Seefahrt und einer Insel, die sich daraufhin mit Dienstleistung über Wasser halten muss. Dass das für alteingesessene Nordfriesen nicht immer leicht ist, bedarf wohl kaum einer Erklärung.

Schaut, wie wir tanzen von Leila Slimani – Marokko in den 70er Jahren

1968 in Marokko: Das Land befindet sich nach jahrelanger Kolonialherrschaft im Umbruch. Die autokratische Herrschaft versucht die Spuren der französischen Besatzer zu verwischen, doch gleichzeitig schwappt eine Hippiewelle an die marokkanischen Küsten. Kulturen, die unterschiedlicher kaum sein können, stoßen aufeinander und führen in den kleinen Küstenorten interessante Coexistenzen. Amines Hof floriert und das einst karge Land steht in voller Blüte.

In Europa wüten zeitgleich die Studentenunruhen, die die strebsame Aicha lediglich aus ihrem Studierzimmer beobachtet.

Schaut, wie wir tanzen ist die Fortsetzung der Familiengeschichte von Leila Slimani. Während sie im ersten Band die Geschichte von der elsässischen Mathilde erzählt, die die Ehefrau von Amine ist, steht in diesem Teil Aicha, die Tochter von Amine und Mathilde, im Vordergrund der Erzählung. Die hochbegabte Aicha ist nach ihrem Schulabschluss nach Straßburg gegangen und studiert dort Medizin. Familie und Freunde ziehen sie immer wieder zurück nach Marokko, was zu einem enormen culture clash führt. Halbherzig christlich erzogen, aufgewachsen auf einer Farm, studiert in Frankreich versucht sie Orientierung in ihrem Leben zu finden.

Slimani beweist auch in diesem Roman wieder eine enorme Beobachtungsgabe. Es wirkt fast so, als seien die Menschen in ihrem Umfeld gläsern, denn kein Charakterzug, kein Motiv, kein Gedanke entgeht der Schriftstellerin. Eine absolut lesenswerte Biografie, die nicht nur eine außergewöhnliche Familiengeschichte erzählt, sondern auch einen spannenden Einblick in das Marokko der 70er Jahre gewährt.

Vom Ende der Einsamkeit von Benedict Wells – Über Verlust, Liebe und das Leben

Benedict Wells war eine meiner großen Entdeckungen in diesem Jahr. Vom Ende der Einsamkeit erzählt die Geschichte von Jules, der mit zehn Jahren seine Eltern bei einem Autounfall verliert. Mit seinen zwei Geschwistern zieht er in ein Internat, wo er wenig sozialen Anschluss findet. Liz, seine Schwester und Marty, sein Bruder, distanzieren sich immer mehr von ihm. Sein einziger Halt ist Alva, eine Mitschülerin von ihm, die auch von einem dunklen Geheimnis umgeben ist. Doch auch Alva verliert er nach seinem Abschluss aus den Augen.

Jahre später finden Alva und Jules doch zueinander und auch die Geschwister nehmen wieder Kontakt auf. Das Glück scheint endlich auf der Seite des Protagonisten zu sein, doch schnell zerrinnt es wieder zwischen seinen Fingern. Es ist ein Roman, der vom Zufall geschrieben wurde. Hier geht es nicht um Gerechtigkeit oder happy ends. Das Leben scheint in Wells Roman brutal zu sein, man kann ihm nicht einfach ausweichen. Es zwingt sich uns auf. Mit einer unglaublichen sprachlichen Schönheit rührt Wells im tiefsten Inneren seiner Leserschaft an den großen Fragen des Lebens: Wer bin ich? Wofür das alles?

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