Manchmal habe ich Angst, dass wir vergessen, wie es einmal war

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By Michal Matlon

Manchmal habe ich Angst, dass das jetzige Leben immer so weitergeht.

Ein Ausnahmezustand, der zur tristen Normalität wird.

Manchmal habe ich Angst, dass die Flucht vor Viren unser Leben dauerhaft beherrschen wird,

dass der Geruch von Desinfektionsmittel allgegenwärtig bleibt und der Hygienewahn nicht nur

unsere Hände, sondern auch unsere Seelen verschleißt,

dass Abstandhalten das Miteinander bestimmt und liebevolle Umarmungen und Berührungen als

verwerflich gelten.

Manchmal habe ich Angst, dass wir uns alle so sehr an den Zustand der Isolation gewöhnen,

dass wir den Zauber vergessen, den wir im gemeinsamen Tanz, Singen, Feiern oder Essen einst

verspürten,

dass wir keinen Mehrwert mehr darin sehen, zusammen zu sein, in dem gleichen Moment zu

verweilen und zu genießen,

dass wir dem Geruch von frischem Popcorn und der mysteriösen Dunkelheit im Kinosaal keinen Wert

mehr beimessen, überladen von der Welt der Streamingdienste.

Manchmal habe ich Angst, dass wir zu viele Vorteile im Tragen von Masken sehen und für immer auf

das Lächeln eines Unbekannten verzichten müssen,

dass wir die feine Mimik unseres Gegenübers nicht mehr lesen können, weil wir es verlernt haben.

Manchmal habe ich Angst, dass wir bald nur noch systemrelevante Berufe als systemrelevant

begreifen und vergessen, dass für unser ganz persönliches System die Kunst und Kultur deutlich mehr

Relevanz hat als stets geöffnete Supermärkte, Krankenhäuser und Schulen.

Ja, dass wir vergessen, dass nicht nur das Befriedigen der Grundbedürfnisse unser System am Laufen

lässt, sondern Austausch, Input, Inspiration und Kreativität im Miteinander.

Manchmal habe ich Angst, dass wir unsere Komfortzone nie mehr verlassen wollen und wir frei

eingesperrt hinter unseren Grundstücksgrenzen verweilen.

Dass wir nur noch Gebrauch von Netflix und Lieferdiensten machen werden und vergessen, dass es

hinter unserer Haustür so viel zu entdecken gibt, dass unsere Immobilität uns träge macht, uns

unsere Einsamkeit abstumpft, die Masken uns blind für unser Gegenüber machen.

Ja, davor habe ich Angst.

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