Lesen, schreiben, Magnus – all das scheinen die Leidenschaften der jungen Muna zu sein. Hingebungsvoll widmet sie sich ihren Passionen, ohne dabei zu merken, dass ihr immer mehr die Kontrolle über ihr eigenes Leben entgleitet. Terézia Mora wirft in ihrem neusten Roman die großen Fragen auf: Was ist Liebe? Wo ist die Grenze zwischen Leidenschaft und Besessenheit?
Muna und Magnus
Muna wächst in dem kleinen Ort Jüris in der DDR auf. Ihr Vater starb früh an Krebs, ihre Mutter ist leidenschaftliche Schauspielerin und Alkoholikerin, Geschwister hat sie keine. Bereits ein Kind scheint für die Mutter eine kaum tragbare Last zu sein. Bereits in ihrer Jugend lernt Muna, auf sich allein gestellt zu sein. Neben der Schule, die ihr keine Schwierigkeiten bereitet, arbeitet sie unentgeltlich für ein kleines Kulturmagazin im Ort. Dort lernt sie nicht nur ihre Leidenschaft für das Lesen und Schreiben kennen, sondern auch für Magnus.
Magnus ist Lehrer in Jüris und arbeitet als freier Mitarbeiter für das Kulturmagazin. Fasziniert von dem verschlossenen und unnahbaren Mann, folgt Muna ihm heimlich in seinem Alltag und zu seinen Presseterminen. Immer wieder provoziert sie Begegnungen, die sie Magnus als zufällige erscheinen lässt. Ihre Mutter befindet sich zeitgleich in der Psychiatrie nach einem missglückten Selbstmordversuch. Ziellos, ohne elterliche Kontrolle, verwischen immer mehr die Grenzen zwischen unschuldigem Verliebtsein und Besessenheit für Muna. Eines Abends schafft sie es, Magnus eine gemeinsame Nacht abzuringen, nach der er spurlos für mehrere Jahre verschwindet.
Eigene Wege
Für Muna bedeutet dieses spurlose Verschwinden keineswegs, dass sie Magnus vergisst. Sie schreibt Briefe an ihn, ignoriert die Tatsache, dass sie weder weiß, wo er sich befindet, noch hinterfragt sie, warum er sich nicht meldet nach seiner Flucht aus der DDR. Das Leben geht dennoch weiter. Muna beginnt ein Studium, geht ihrer Begeisterung für Literatur weiter nach, die Mauer fällt und die Möglichkeiten scheinen auf einmal grenzenlos zu sein. In verschiedenen Großstädten studiert sie und beginnt nach ihrem Studium eine Promotion in Wien. Zu Männern hat sie immer wieder Kontakt, ihre Weiblichkeit findet viel Anklang bei ihnen, aber eine feste Bindung geht sie mit niemandem ein.
Das Wiedersehen
Bei einem Theaterbesuch in Berlin kommt es dann zufällig zu einem Wiedersehen zwischen Magnus und Muna. Dies ist der Beginn einer Beziehung, die sich über verschiedene Städte erstreckt und Muna fernzusteuern scheint. Ihre wissenschaftliche Karriere gerät immer mehr in den Hintergrund, denn nur das, was mit Magnus Leben kompatibel ist, hat auch Raum in ihrem. Sie kündigt Jobs, die nicht zu Ihrem Pendlerinnenleben passen, stößt Freunden vor den Kopf und richtet ihr ganzes Leben danach aus, Magnus zu sehen und ihm zu gefallen.
Weiterhin bleibt Magnus passiv und introvertiert und birgt scheinbar ebenso viele Geheimnisse wie sein stets verschlossener Sekretär im Wohnzimmer. Im Laufe der Beziehung werden immer mehr sonderbare Charakterzüge an ihm deutlich, die Muna sich selbst wegerklärt. Ihre Besessenheit von diesem Mann weiß er auszunutzen und macht sie klein, schlägt und erniedrigt sie und lässt es am Ende wie ein erotisches Spiel erscheinen. Immer mehr stürzt Muna in den Abgrund der Abhängigkeit.
Zwischen Besessenheit und Liebe
Als Leserin sieht man bei diesem Sturz in den Abgrund machtlos zu. An vielen Stellen würde man Muna gerne an den Schultern packen und sie schütteln, sie aus ihrem Traum zerren, der alles andere als ein Sinnbild von einer liebevollen Beziehung ist. Man fragt sich, was einen Menschen dazu bewegt, sich so demütigen zu lassen, sich so wenig von Abneigung zu distanzieren, die doch so offenkundig ist? Auch wenn man in diesem Roman so gut wie nichts über die Hintergründe von Magnus erfährt, kann man diese Liebe zu ihm nicht nachvollziehen.
„Jemanden geliebt zu haben, bedeutet, einen Tag Urlaub aus der zu bekommen, das fiel mir vom Gesicht des Vaters des kichernden Jungen ein.“
Muna oder die Hälfte des Lebens, Terézia Mora, S.222
Muna scheint sich unerbittlich an eine Illusion von Liebe zu klammern, die sie in ihrem Elternhaus kaum erfahren hat. Sie wirkt hilflos, mit einer falschen Definition von Liebe ausgestattet und ohne ein Gespür für Bindungen, die einem nicht guttun. Magnus fungiert als eine Art Anker in ihrem sonst sehr wahllosen, chaotischen Leben, der ihre Richtung komplett bestimmen kann. Er selbst scheint das gar nicht zu wollen, aber Muna steigert sich immer mehr in die Beziehung rein und überredet ihn immer wieder, bei ihr zu bleiben, ein gemeinsames Leben zu leben.
„Wie schnell sie ihre Strafen zur Hand hatten, immer, sie wussten immer, was zu tun war, unsere Pädagogen und Eltern. Meine Eltern nicht, nie, höchstens, dass meine Mutter mich besoffen anpöbelte, ich weiß, dass ich dennoch dankbar sein kann. Sorge oder Kontrolle, Liebe, Verbindlichkeit, Sorge oder Kontrolle, das ist so schwer auseinanderzuhalten, wenn alles Kontrolle ist.“
Muna oder die Hälfte des Lebens, Terézia Mora, S.228
Lesbar?
Muna oder die Hälfte des Lebens ist ein Roman, der eine sonderbare Wirkung auf einen hat. Er macht einen aggressiv, man kann mit der Protagonistin schwer sympathisieren. Sie ist zu aufdringlich, dann wieder zu devot, ein Leben in den Extremen. Man muss immer wieder Fehlentscheidungen ertragen, würde sie manchmal gerne anbrüllen, um sie aus ihrem Traum von Besessenheit wachzurütteln. Doch gleichzeitig hat dieses Buch eine enorme Sogwirkung. Man kann es nicht beiseitelegen, da man immer wieder hofft, dass Muna erwacht, dass sie sich befreit und ihre Intelligenz nutzt, um selbstständig durchs Leben zu gehen.
Mora schafft es, ein Thema, das häufig sehr einseitig beleuchtet wird, in all seinen Ausmaßen aufzuzeigen. Man spürt keineswegs nur Mitleid mit der Protagonistin, die auf wenig Resonanz ihrer Liebe stößt. Vielmehr zeigt Mora auf, dass eine toxische Beziehung von beiden Seiten aufgebaut wird. Eine Person, die aufdringlich ist, sich abhängig machen will, stößt auf eine andere Person, die irgendwann nachgibt und eigentlich genauso gefangen ist in einer Beziehung, die sie nicht möchte wie die andere. Diese Unzufriedenheit resultiert in Gewalt und Machtspielen und macht beide gleichermaßen kaputt. Ein fesselnder Roman, der zwar schmerzt und einen wütend macht, aber gleichzeitig auch unglaublich packend und faszinierend ist!
Hier ein Interview mit der Autorin zu dem Roman Muna: https://www.youtube.com/watch?v=4LHPzIq76us
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