Sinnsuche: Von einer bedeutsamen und sinnlosen Frage

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Folge deiner inneren Stimme! Sei selbstbestimmt! Lass dich nicht bevormunden und gehe deinen eigenen Weg! – An Lebensratgebern und schlauen Kalendersprüchen mangelt es momentan nicht im Internet und in den Buchläden. Geschichten von erfolgreichen Managern, denen in ihrer 60 Stunden-Woche der Sinn abhandengekommen ist und nun ihr Leben neu definieren wollen, füllen die Bestsellerlisten. Ebenso Geschichten über Ausbrecher, die mit ihrem VW-Bus ihr Glück fernab des Konsumwahns in fremden Ländern suchen.  Die Suche nach dem Sinn des Lebens scheint die Menschheit seit jeher zu beschäftigen. Ob ein unbefriedigendes Studium, ein Job, der zu viel kostbare Lebenszeit in Anspruch nimmt oder eine lieblose Beziehung die Ursache ist, irgendwann stehen wir alle vor der Frage, wie viel Sinn unser Dasein auf dieser Welt eigentlich macht. Doch ist diese Frage überhaupt sinnvoll?

Alleinstellungsmerkmal des Menschen: die Sinnfrage

Kein Pferd, keine Ameise, kein Wal stellt sein Tun infrage wie der Mensch. Ein Pferd hinterfragt nicht, warum es über das Hindernis springt, sondern tut es einfach. Der Mensch hingegen braucht Gründe. Fast jeder steht irgendwann einmal vor der Frage, warum man genau diesen Beruf ausübt, in dieser Beziehung lebt oder sich für diesen Wohnort entschieden hat. Wäre unser Leben nicht viel einfacher, wenn wir ebenso wie das Pferd nicht hinterfragen würden, was wir den ganzen Tag tun?

Einigen Menschen gelingt es sogar, sich dieser menscheneigenen Eigenschaft zu entziehen und funktionieren in ihrem Alltag, ohne darüber nachzudenken, ob sie bestimmten Tätigkeiten überhaupt gerne nachgehen. Diese Strategie funktioniert meistens so lange, bis ein Schicksalsschlag wie der Tod eines geliebten Menschen oder der Verlust eines Jobs einen zum Nachdenken zwingt. Irgendwie scheint es zu unseren Grundbedürfnissen zu gehören, hin und wieder die Sinnhaftigkeit unseres Daseins zu hinterfragen. Und kaum einer Frage mangelt es so sehr an objektiven Antworten, was die Beantwortung so unglaublich schwer macht.

Schicksal vs. Eigenverantwortung

Warum gab es früher nicht allerhand Bücher, die die krampfhafte Suche nach dem Lebenssinn einiger unzufriedener Protagonisten beschreibt? Die heutige Zeit scheint prädestiniert zu sein für hoffnungslose Sinnsuche. Immer mehr Menschen suchen Rat in Therapien oder Lebensratgebern, um ihre innere Leere zu füllen.

Die Entwertung der Religionen in den westlichen Ländern hat sicherlich einen großen Teil dazu beigetragen. Während man früher sein Leben in festen vorgegebenen Strukturen gelebt hat, und wenig Raum blieb für eine individuelle Lebensgestaltung, überließ man die Sinngebung dem Schicksal. Gott hat sich schon etwas dabei gedacht, wohin das eigene Leben einen führen sollte und dieser Weg wurde meistens durch Tradition und familiäre Strukturen ausgewiesen. Somit sparte man sich das leidige Kopfzerbrechen über eine Frage, die ohnehin nicht so recht zu beantworten ist und widmete sich dem, was für einen vorgesehen war.

Es gibt kaum noch familiäre Traditionen, die einen in berufliche Laufbahnen reindrängen, auf die man keine Lust hat. Auch klassische Familienkonstruktionen sind aus der Mode gekommen und stellen uns Menschen vor immer mehr Fragen. Heute können wir so gut wie alles. Ob man sein Geschlecht ändern will, ein Leben im Wald verbringen möchte oder sich beruflich ganz anders entwickelt als die Eltern – alles ist möglich, wenn man nur weiß, was man will. Doch die Pluralität der Möglichkeiten macht es nicht einfach, eine Antwort auf die Fragen der Fragen zu finden: Was will ich? Was ist für mich sinngebend? Was ist überhaupt dieser verdammte Sinn des Lebens?

Sinnsuche heute

Heutzutage weist einen nicht mehr die Religion oder die Familie den Weg durch die Suche nach dem Sinn, sondern Werbung und Social Media. Beweglich wie eine Schlange dehnen sich die Yoga-Damen in schicker und knapper Sportbekleidung durch ihre Asanas und laden ihre perfekt inszenierten körperbetonten Videos auf ihren Kanälen hoch. Danach ein Schälchen „Soulfood“ und natürlich der Blick in den Sonnenaufgang. Ein agiler und glücklicher Mensch steht nämlich früh auf für sein Sportprogramm, achtet auf Ernährung und eine vernünftige Work-Life-Balance.

Zahlreiche Mom-Blogs und Instagramprofile vermarkten das Familienkonzept, welches aktuell en vogue ist. Momentan steht Nachhaltigkeit ganz oben bei den Trends rundum Familie. Windeln werden nicht mehr weggeschmissen, sondern gewaschen, Feuchttücher sind ein absolutes No-Go und die Babykleidung soll bitte nur aus reiner Biobaumwolle sein.  In Pastelltönen werden die Kinderzimmer eingerichtet, alles farblich abgestimmt – eben typisch für ein Kleinkind – und mit Naturprodukten ausgestattet. Mindestens einmal im Jahr wird mit dem VW-Bus ein Familienurlaub an irgendeiner schönen Küste Europas auf dem Campingplatz gemacht. Ob Patchwork, adoptiert, künstlich befruchtet, homosexuelle Ehepartner oder eben das ganz klassische Modell – bei der Zusammensetzung der Familie ist alles möglich.

Das Patentrezept zum Glücklichsein und einem sinnerfüllten Leben scheinen die Medien uns täglich zu demonstrieren. Warum also nicht einfach nachmachen? Es scheint kein Hexenwerk zu sein, diese Sinnhaftigkeit zu erfahren, denn wenn Familienleben, Gesundheit und Nachhaltigkeit nicht sinnvoll sind, dann was bitte sonst?

Die Subjektivität der Sinnfrage

Nachmachen und somit die Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens aus einem anderen Lebenskonzept kopieren, funktioniert nur leider nicht. Wer das einmal ausprobiert, wird schnell feststellen, dass für einen Genussmenschen wohl kaum der Lebenssinn darin bestehen kann, sich durch und durch gesund zu ernähren. Ebenso wird ein Workaholic keinerlei Freude dabei empfindet, eine 30 Stunden-Woche zu forcieren. Wir werden auch nicht alle mit Kindern und einem Partner glücklich werden, denn auch alleine findet der ein oder andere seinen Sinn im Leben.

Vielleicht ist es wie bei so vielen Dingen im Leben: Wir laden die Sinnsuche mit viel zu viel Bedeutung auf. In Therapien jeglicher Art und Yoga-Retreats erhoffen wir die große Antwort. Doch sollte uns allen dabei bewusst sein, dass wir eine relativ kurze Verweildauer auf diesem Planeten haben. Wie sinnvoll ist es also zu glauben, dass der eigenen Existenz eine besondere Sinnhaftigkeit zugrunde liegen muss? Nehmen wir uns damit nicht viel zu ernst? Nicht wenige stellen auf dem Sterbebett fest, dass letztendlich die Anreicherung von möglichst vielen guten Momenten zu einem erfüllten Leben führt. Ob dies nun das Essen von einem leckeren Stück Kuchen ist, eine befreiende Joggingrunde oder ein 12-stündiger Arbeitstag – das sei doch jedem selbst überlassen.

Somit beenden wir diese sinnlose Suche nach Antworten und verbleiben mit einem Zitat von Anthony Hopkins:

Keiner von uns kommt lebend hier raus. Also hört auf, euch wie ein Andenken zu behandeln. Esst leckeres Essen. Spaziert in der Sonne. Springt ins Meer. Sagt die Wahrheit und tragt euer Herz auf der Zunge. Seid albern. Seid freundlich. Seid komisch. Für nichts anderes ist Zeit.

Anthony Hopkins

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