2016 feierte der Film Toni Erdmann seine Premiere bei den Filmfestspielen in Cannes. Ein Film, der auf dem ersten Blick recht unscheinbar erscheinen mag, aber wie seine zahlreichen Preise und Auszeichnungen beweisen, ist dieser erste Eindruck vollkommen unberechtigt. Zwischen Tränen und Lachanfällen gleitet man als Zuschauender durch die Vater-Tochter-Geschichte und am Ende bleibt lediglich das wohlige Gefühl, einen verdammt guten Film geschaut zu haben. Was macht Toni Erdmann so einzigartig?
Vater und Tochter
Unterschiedlicher könnten Vater und Tochter nicht sein: Der geschiedene Winfried Conradi, ein pensionierter Musiklehrer, der nichts im Leben so richtig ernst zu nehmen scheint und seine ehrgeizige Tochter Ines, die als Unternehmensberaterin in Bukarest Karriere machen will. Wenn Ines zu Besuch in der Heimat ist, hat ihr Vater nicht viel von ihr. Die Arbeit nimmt sie auch aus der Ferne ein, was sie für Winfrieds Geschmack deutlich zu lange am Handy hängen lässt. Vater Conradi hingegen scherzt sich durchs Leben. Er trägt stets ein Gebiss mit langen Zähnen in seiner Brusttasche und schlüpft gerne spontan in andere Rollen. Sämtliche Aufheiterungsversuche prallen an seiner gestressten Tochter ab.
Nach dem plötzlichen Tod seines Hundes, überrascht er Ines in Bukarest und schaut sich einmal genauer an, was sie den ganzen Tag so beschäftigt. Natürlich erscheint er mit Perücke und Gebiss und stellt sich als Toni Erdmann vor. Ines spielt das Spiel mit, hauptsächlich, damit niemand weiß, dass dieser skurrile lang zahnige Mann ihr Vater ist.
Der Alltag im Consulting
Genervt stellt Ines fest, dass ihr hartnäckiger Vater nicht so leicht abzuschütteln ist. Überall taucht er auf und bereitet ihr unangenehme Momente vor ihren Kunden und Arbeitskollegen. Doch Winfried amüsiert sich, er nimmt das Leben sowieso nicht so ernst.
Die Rolle als Toni Erdmann öffnet ihm die Türen in sämtliche Arbeitsbereiche seiner Tochter. Mal gibt er sich als Botschafter aus und Ines mutiert zu seiner Sekretärin Whitney Schnuck und manchmal ist er einfach nur ein undefinierter Geschäftsmann, den niemand so richtig zu kennen scheint, aber auch keiner abzuweisen vermag.
Die ehrgeizige Ines sieht durch ihren überraschenden Gast ihren Arbeitsalltag auf einmal durch die Augen ihres Vaters: Unternehmensberatung bedeutet auch oft unmenschlich zu sein, Personal für Nichtigkeiten zu entlassen und einzig und allein nach Profit zu streben. Glücklich macht das nicht so richtig.
Nacktparty und Gesangseinlage
Doch was ist schon Glück? Fest steht, dass Humor zumindest eine große Portion dazu beitragen kann. Im Laufe des Films löst sich langsam der festgezurrte Knoten um Ines, der ihr die Luft zum Lachen nimmt. Unerwartet lässt sie sich darauf ein, als Sekretärin von Toni Erdmann, ihrem Vater, sich selbst bei einer Osterfeier einer fremden Familie einzuladen. Während Winfried die ersten Begleittöne auf dem Klavier für Whitney Houstons „Greatest love of all“ einstimmt, bricht es aus seiner Tochter heraus und ohne Hemmungen liefert sie eine Gesangseinlage, die lustiger und berührender kaum sein kann.
Doch den Humor, der dem ihres Vaters doch ähnlicher zu sein scheint als man zu Beginn gedacht hat, stößt nicht unbedingt auf Verständnis bei ihren Arbeitskollegen. Zu ihrem Geburtstag entscheidet sie kurzerhand, ihre Gäste nackt zu empfangen und die Party als Nacktparty zu deklarieren. Schließlich fördere die Entblößung voreinander das Teambuilding. Der Knoten scheint gänzlich geplatzt zu sein und eine ganz andere Ines gibt sich zu erkennen.
Ein Humor fernab des Mainstreams
Dieser Film ist so ganz anders. Er ist lang, unverblümt und wirkt auf den ersten Blick etwas blass. Keine Hintergrundmusik oder ähnliche Effekte, die Spannung erzeugen. Stattdessen drückt die stets angespannte Ines auf das Gemüt des Zuschauers und es tut fast weh, dass sich Vater und Tochter zunächst nicht annähern können.
Der Humor von Vater Winfried ist Geschmackssache. Ohne zu beleidigen oder Andere ins Lächerliche zu ziehen, schafft er witzige Situationen. Eine Perücke, ein künstliches Gebiss mit langen Zähnen und die Dreistigkeit, sich selbstsicher auf alle Events und Partys zu schummeln, die ihn interessieren, schafft eine Situationskomik, die sonst nur große Komiker wie Hape Kerkeling, Helge Schneider oder Loriot kreieren können. Das Lustige liegt in dem Unerwarteten, was uns doch eigentlich nur vor Augen führt, wie verbissen und ernst wir durch unseren Alltag trotten. Dinge werden auf eine bestimmte Art gemacht und daran haben sich alle zu halten. Wie schön, dass die Conradis sich nicht diesem Zwang unterwerfen. Im Grunde genommen ist es gar nicht so schwer, etwas Witz und Leichtigkeit in sein Leben zu lassen: Öffne einfach mal nackt die Tür an deiner Geburtstagsparty und eine wirklich komische Situation entsteht.
Warum sehenswert?
Dieser Film ist ein Lichtblick am Horizont des deutschen Humors. Während man durch die Massenmedien stets vermittelt bekommt, dass Humor nur noch aus politischer Satire oder dem Dauerbrenner „Unterschiede zwischen Mann und Frau“ besteht, gibt dieser zutiefst rührende und zugleich unglaublich komischer Film Hoffnung, dass Humor noch so viel mehr sein kann. Vor allem macht „Toni Erdmann“ deutlich, dass Witz eine gewisse Lebenseinstellung ist, die uns alle ein bisschen glücklicher macht und uns einander näherbringt.
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Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=bVKGWFpRpqU
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