Was wird heutzutage mit dem Begriff „Philosophie“ assoziiert? Die meisten denken sofort an eine „Laberdisziplin“, die sich mit schwammigen Themen wie etwa dem Sinn des Lebens beschäftigt. Andere verbinden den Begriff mit einer Wissenschaft, die fernab von der Realität in einem Elfenbeinturm entsteht und sich mit abstrusen und weltfremden Theorien beschäftigt. Einige verbinden die Philosophie schlichtweg mit leserfeindlichen Texten, die aus einer Aneinanderreihung verschachtelter und langer Sätze bestehen. Trotz all dieser Vorurteile erfährt die Philosophie momentan eine neue Popularität, was man an dem Erfolg der Bücher von Richard David Precht, verschiedenen Philosophiemagazinen und sogar Philosophiefestivals erkennen kann. Was sucht der Mensch von heute in einer Wissenschaft, die doch eigentlich so gar nicht alltagstauglich ist?
Die ursprüngliche Bedeutung von Philosophie
Der Begriff philosophía ist im alten Griechenland entstanden und bedeutet „Liebe zur Weisheit“. Diese Definition stellt einen vor die nächste Frage, denn was ist eigentlich Weisheit? Jeder kennt diesen Begriff, doch sobald man nach der eigentlichen Bedeutung des Begriffs fragt, geraten viele ins Stottern. Als weiser Mensch ist man dazu in der Lage, Zusammenhänge zwischen allem, was uns in unserem Leben begegnet, zu verstehen und daraus die angemessenste Handlungsweise abzuleiten. Weise Entscheidungen kann man am besten treffen, wenn man objektiv an das Problem herantritt und sich nicht von seinen Gefühlen oder seiner persönlichen Meinung beeinflussen lässt.
Der Philosoph bevorzugt also die weisen und wohlbedachten Gedanken, die Probleme in verschiedene Kontexte rücken, sie von allen Seiten betrachten und ihre Beziehungen zu anderen Themenbereichen freilegen. Dabei beschäftigt sich die Philosophie nicht mit einem bestimmten Teilbereich der Wissenschaften, sondern untersucht das Grundsätzliche. Sie stellt die Untersuchungsgegenstände der einzelnen Wissenschaften infrage und hinterfragt die Validität der Forschungsmethoden. Im Zentrum aller Untersuchungen steht der Mensch, dessen Existenz in all seinen komplexen Zusammenhängen verstanden und begründet werden will.
Der Ursprung philosophischer Fragestellungen findet sich im Alltäglichen. Selbstverständliches hinterfragt die Philosophie und versucht, festen Überzeugungen auf den Grund zu gehen. So nehmen die meisten Europäer die Demokratie als eine gut funktionierende Staatsform wahr und Models, Musik und spannende Filme empfinden wir als schön. Doch wie kam es dazu, dass sich die Demokratie in unserem Land durchgesetzt hat? Welche Gedanken führten zu dieser gesellschaftlichen Ordnung? Welches Menschenbild liegt ihr zugrunde? Was empfinden wir Menschen als schön und warum? Gibt es gewisse Dinge, die man objektiv als schön bezeichnen kann? An all diese Fragen kann man systematisch herantreten und ihnen durch das genaue Definieren von Begriffen, logischen Schlussfolgerungen und das Durchforsten der Philosophiegeschichte auf den Grund gehen.
Die Philosophie als interdisziplinäre Wissenschaft
Es erklärt sich von selbst, warum die Philosophie eine interdisziplinäre Wissenschaft sein muss, um ihrem Anspruch gerecht zu werden. Ohne die Biologie könnte der Philosoph das Wesen des Menschen nie in all seiner Komplexität verstehen. Ohne die Mathematik wäre die Logik nicht nachvollziehbar und ohne die Medienwissenschaft kann er die uns dargestellte verzerrte Wirklichkeit nicht entschlüsseln. So gibt es zu jeder philosophischen Fragestellung zahlreiche Abzweigungen in andere wissenschaftliche Bereiche.
Doch nicht nur die Philosophie ist auf andere Bereiche der Wissenschaft angewiesen, sondern diese auch auf die Philosophie. So würden sich die Naturwissenschaften lediglich auf das Beschreiben und Kombinieren ihrer Beobachtungen beschränken müssen, wenn ihre Forschungsmethoden und ihre moralische Vertretbarkeit nie hinterfragt werden würden. Die Philosophie verschafft sich also durch die Einblicke in alle Bereiche der Wissenschaft einen Überblick über die Zusammenhänge in dieser Welt, legt diese frei und versucht auf diese Weise die Welt in all ihrer Komplexität zu verstehen.
Das Philosophieren als urmenschliches Bedürfnis
Der Wunsch nach dem Philosophieren ist aber nicht nur ein elitärer Zeitvertreib. Der Philosoph Karl Löwith schreibt dem Menschen als einzigem Lebewesen die besondere Eigenschaft zu, sich selbst reflektieren zu können. Er könne sich von seinem gewohnten Umfeld distanzieren und es aus diesem Abstand heraus betrachten und hinterfragen. Die Selbstreflexion sei aber nicht nur eine Fähigkeit, die den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet, sondern auch ein Grundbedürfnis. Es liegt also in unserem Naturell, zu philosophieren und Gegebenes nicht einfach nur hinzunehmen oder über uns ergehen zu lassen.
Die Bedeutung von Philosophie heute
Doch warum erfährt die Philosophie momentan solch einen Zuwachs an Interesse? Der Mensch von heute lebt in Hektik, setzt die Effizienz an erste Stelle und möchte seine knapp bemessene Zeit möglichst gewinnbringend verkaufen. Da bleibt doch eigentlich keine Zeit und Muße für tiefgründiges Nachdenken über Dinge, die doch selbstverständlich sind.
Vielleicht liegt es daran, dass heutzutage die Wirklichkeit immer mehr an Konturen verliert und in dem Überangebot an Darstellungsformen verschwimmt. Es ist nichts mehr selbstverständlich. So kann heute kaum noch einer eine wahre Nachricht von einer falschen unterscheiden, da jeder die Möglichkeit hat, Informationen, ob nun falsch oder wahr, sehr schnell zu streuen und ein breites Publikum darauf aufmerksam zu machen. Falsche Worthülsen und Filter, die die Abbilder der Wirklichkeit verzerren, machen es nahezu unmöglich, die Wahrheit von der Fiktion zu unterscheiden. Jeder kommt zu Wort, alles kann richtig und falsch sein, zu jeder Position gibt es mindestens eine schlüssige gegenteilige Meinung. Wie soll man da den Überblick behalten? Die Philosophie kann uns an dieser Stelle dienlich sein, denn sie stellt uns einen Dekodierungsschlüssel zur Verfügung, der den wahren Kern wieder freilegt. Sie stellt uns das nötige Handwerkszeug zur Verfügung, um klar zu denken und sich nicht blenden zu lassen.
Auch wenn die Philosophie keine großen Umsätze oder Anerkennung generiert, so bietet sie uns einen vielleicht viel kostbareren Mehrwert: Einen klaren Kopf, der uns Orientierung und Überblick in einer Welt verschafft, die uns sonst wahrscheinlich in den Wahnsinn treiben würde.
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Eine insbesondere sehr lehrreiche, weil nicht belehrende Stellungnahme zu dem uns alle angehenden Thema, Philosophie heute. In einem Lehrfach, welches sich bis heute an den reichhaltigen geistigen Erkenntnissen vieler namhafter Denker orientiert, bei deren Lektüre man zeitweilig das Gefühl hat, dass diese gestern statt vor 1000 Jahren hätten niedergeschrieben sein können. Das faszinierende an der Philosophie ist für mich als Laie gerade dieser aufregende Bezug und die Erkenntnisse zum Miteinander in all seinen schillernden Facetten, dem Leben im Spiegel der vielen Darsteller in diesem großen zeitlich begrenzten Drama, welches zumindest was den Anfang und das Ende angeht, klar und unabänderlich vorgegeben ist.
Große Klasse – besser hätte es Herr Precht auch nicht schreiben können.