Javier Marías – Ein literarisches Juwel aus Madrid

Javier Marías

70 Jahre wird der erfolgreiche spanische Autor Javier Marías in diesem Jahr. Der Name schaut einen hin und wieder von Buchtiteln wie „Mein Herz so weiß“ oder „Die sterblich Verliebten“ an, doch bisher wissen recht wenig Deutsche, was sich hinter den an Shakespeare angelehnten Titeln verbirgt. Dabei erhielt er zahlreiche Preise für sein umfangreiches Werk und seine Bücher wurden in über vierzig Sprachen übersetzt. Was verbirgt sich hinter dem mysteriösen Blick und dem stets rauchendem Marías?

Sein Leben

Am 20. September 1951 kam er als viertes von fünf Kindern auf die Welt. Sein Vater Julían Marías Aguilera, ein bekannter Philosoph, der durch seine Unterstützung der republikanischen Politik im Franco-Regime verfolgt wurde und seine Mutter, Dolores Franco Manera, eine Lehrerin, Übersetzerin und Schriftstellerin, boten einen guten Nährboden für die Zukunft des jungen Javier.

Nachdem sein Vater in Spanien mit Berufsverboten und Inhaftierungen zu kämpfen hatte, entschied sich die Familie in die USA zu ziehen. Dort arbeitete sein Vater als Dozent an verschiedenen Universitäten, darunter auch die Elite-Universität Yale. Namenhafte Philosophen und Schriftsteller gingen im Elternhaus ein und aus. Jorge Guillén, Vladimir Nabokov oder auch José Ortega y Gasset waren Bekannte oder Freunde seiner Eltern. Das Werk dieser großen Denker beeinflusste den Schreibstil von Javier Marías nachhaltig.

Javier Marías begann bereits mit fünzehn Jahren seinen ersten Roman zu schreiben. „Die Dämonen des Wolfs“ wurde zwar zur Entstehungszeit nicht veröffentlicht, aber schon darin wurde seine Vorliebe für nordamerikanische Schriftsteller und Filme der 50er und 60er Jahre aus Hollywood deutlich. Wieder in Spanien studierte er in Madrid Literaturwissenschaft und Philosophie. Neben seiner Lehrtätigkeit für spanische Literatur und Übersetzung in Oxford veröffentlichte er seine ersten Romane und erhielt den Premio Herralde de Novela für „Der Gefühlsmensch“. Seinen internationalen Durchbruch schaffte er mit dem von Marcel Reich-Ranickis im literarischen Quartett hoch gelobten Roman „Mein Herz so weiß“.

Seine Besonderheiten

Aus seinen Kolumnen und Interviews wird immer wieder eine scharfe Kulturkritik deutlich. Der angesehene Schriftsteller bevorzugt es, auf einer Schreibmaschine zu schreiben und verweigert PCs und Internet ebenso wie Mobiltelefone. Es scheint so, als ob er versucht, die Welt um sich herum ein wenig zu entschleunigen. Er hegt einen Gräuel gegen die Schnelllebigkeit der Moderne, die in seinen ständig wechselnden Moden einen viel zu starken Fokus auf den Konsum legt.

Er ist auch bekannt für seine Vorliebe für Fußball. Als Madrileñe ist er leidenschaftlicher Fan des Fußballvereins Real Madrid. Sogar ein Buch hat er seiner Passion gewidmet und in mehreren Abhandlungen den hohen Stellenwert des Fußballs in der spanischen Kultur beschrieben.

Nicht nur im literarischen Sinne könnte man Marías als Hoheit bezeichnen. Er ist auch der König der unbewohnten Karibikinsel Redonda. Die Insel wird seit 1865 von Schriftstellern regiert, die als „König“ der Pflicht nachgehen müssen, das literarische Werk von Matthew Phipps Schiel zu verbreiten, der der Gründer dieser besonderen Dynastie war. Dass Marías Humor hat, hat er also nicht nur in seinen Romanen und Essays mehrmals bewiesen.

Sein Werk

Marías Werk ist kaum in wenigen Sätzen zu beschreiben. Als Übersetzer, Journalist, Schriftsteller oder Essayist veröffentlichte er Romane, ausgezeichnete Übersetzungen und Kolumnen in der spanischen Zeitung El País.  Doch was macht es so erwähnenswert? Es ist wahrscheinlich sein Blick auf Politik und Gesellschaft, auf das Individuum und seine Psyche. Wenn man seine Texte liest, hat man das Gefühl, dass nichts an der Oberfläche verweilt. Marías beschreibt keine rasanten, spannenden Handlungen, sondern versucht zu verstehen.

Ungeduldige LeserInnen werfen ihm oft vor, zu langatmig zu schreiben, die Zeit zu sehr zu dehnen. Viele seiner Bücher werfen einen auf den ersten Seiten in eine skurrile oder auch schockierende Situation: Ein Selbstmord während eines Familienfestes, ein Mord eines Familienvaters oder die Offenbarung einer Lebenslüge. Was rasant beginnt, wird schnell entschleunigt und erhält den Charakter einer Geschichte aus der Perspektive eines geduldigen Beobachters, der jedes Detail in philosophischen Ausschweifungen reflektiert.

Er schafft eine ganze Anthropologie des Menschen der Gegenwart und behandelt alle wichtigen Fragen, die uns offensichtlich oder auch heimlich auf der Seele brennen: Was ist Liebe? Können wir in einer individualistischen Gesellschaft noch lieben? Gibt es die Wahrheit? Was macht die Großstadt mit unserer Psyche? Was schulden wir unserer faschistischen Vergangenheit?

Warum lesenswert?

Das klingt ermüdend? Ist es aber nicht. Sicherlich ist er kein Autor für LeserInnen, die Spannung, schnelle Wechsel in der Handlung oder dramatische Liebesszenen bevorzugen, aber jemand, der gerne nachdenkt und Lektüre sucht, die komplett neue Denkimpulse liefert, sollte sich unbedingt an Romane von Javier Marías wagen. Nicht nur seine Inhalte sind brillant und von einer derartigen philosophischen Tiefe, dass man das Bedürfnis hat, jeden seiner Sätze zu markieren, irgendwo abzuspeichern. Auch sein Ausdruck und seine sprachliche Genauigkeit faszinieren und machen seine Essays und Romane zu einem wahren Lesegenuss.

Deshalb werde ich in den nächsten Wochen auf einige seiner Romane näher eingehen. Vielleicht kann ich den einen oder anderen mit meiner Marías-Begeisterung anstecken!

Falls du mehr über das Werk von Javier Marías erfahren willst, klicke auf folgenden Link: https://www.denkbar.net/2021/02/20/so-faengt-das-schlimme-an-von-javier-marias-haben-luegen-manchmal-doch-die-laengeren-beine/

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