Verzerrte Wirklichkeiten – Wie Verschwörungstheorien in unsere Köpfe gelangten

Verschwörungstheorien 13-9
Collage von Birgit Steinborn

Kondensstreifen von Flugzeugen wollen uns vergiften, Hexen tragen an den Naturkatastrophen die Schuld, Elvis ist nie gestorben und die amerikanischen Geheimdienste haben die 9/11-Terroranschläge verursacht – Verschwörungstheorien gibt es seit vielen Jahrhunderten zu zahlreichen Ereignissen. Auch die Corona-Krise ist nicht davor gefeit. Einige mutmaßen, dass der Virus von den Chinesen entwickelt worden ist, andere denken, dass Bill Gates die ganze Welt durch Zwangsimpfungen unfruchtbar machen will und dann gibt es noch die, die davon überzeugt sind, dass es den Virus gar nicht gibt. Doch warum sind wir Menschen so anfällig für das Glauben an Verschwörungen? Wie viel Wahrheit steckt in diesen Theorien?

Definition von Verschwörungstheorien

Mit Verschwörungstheorien möchte man große politische und gesellschaftliche Ereignisse oder Naturkatastrophen erklären. Meistens wird vermutet, dass dem Ereignis ein universelles Problem zugrunde liege. Mächtige Personen oder Gruppierungen stehen unter Verdacht, dass sie die eigentlichen Strippenzieher des Geschehens seien und mit illegalen Machenschaften sich einen Vorteil verschaffen wollen. Mehr Macht und mehr Geld sind oftmals das Motiv. So nimmt die Welt wieder eine Form an, die uns allen bekannt ist: Es gibt eine gute und eine böse Seite. Zahlreiche Geschichten sind nach diesem Schema aufgebaut.

Der Mythos als Vorläufer von Verschwörungstheorien

Das Spinnen von Geschichten ist eine Strategie, die bereits in der Antike zur Verbreitung von vermeintlichen Wahrheiten genutzt wurde. Schon Platon verpackte seine philosophischen Theorien in Mythen, um seinen Lesern und Zuhörern das Verstehen seiner komplexen Gedanken zu erleichtern. Seit jeher braucht der Mensch Geschichten, um zu begreifen. Damals ging es zwar selten um die Verbreitung von Verschwörungstheorien, aber der Aufbau eines Mythos war ähnlich. Moralische Werte wurden durch die Personen, Götter oder Tiere, die für das Gute und das Schlechte standen, vermittelt. Ein nachweislicher Wahrheitsgehalt bildete auch hier nicht die Basis der Geschichte, sondern die Meinung des Autors oder Erzählers. Oftmals spielten Götter eine maßgebliche Rolle in den Mythen, um den Thesen Nachdruck zu verleihen. Auch die Bibel verschafft sich Gehör durch das Erzählen von Geschichten. Die letzten Fragen, die die Ratio nicht beantworten konnte, kamen in den Geschichten zur Ruhe: Gott bot eine Lösung für alle Probleme.

Dennoch wurden Platons Theorien erst durch das Zusammenspiel von Mythos und Logos glaubwürdig. Die Mischung aus Thesen, die mit schlüssigen Argumenten begründet wurden und Erzählungen, die diese veranschaulichten, verleihen Platons Werk noch heute eine einzigartige Wirkung.

Verlust des kirchlichen Wahrheitsmonopols

Ab dem 17. Jahrhundert, das aufklärerische Zeitalter, begann das Wahrheitsmonopol der Kirche zu bröckeln und Mythen gerieten immer mehr in den Hintergrund. Ein fortschrittlicher Denker der Aufklärung suchte seine Letztbegründungen nicht in Gott oder Fiktion, sondern benutzte seinen Verstand. Die Wissenschaften gewannen an Macht und das Wissen löste den Glauben ab. Doch was tut der Mensch, der sich doch so gern in Geschichten flüchtet, die die Welt so herrlich übersichtlich erscheinen lassen? Richtig, er kreiert sich seinen eigenen Mythos, der, anders als die Wissenschaften, komplexe Zusammenhänge auf Gut und Böse herunterbricht und nachvollziehbare Antworten liefert. Sogar auf die Fragen, auf die die Wissenschaft keine Antwort hat.

Auch wenn es bereits Verschwörungstheorien vor der Aufklärung gab, so nahmen sie signifikant zu im Zuge der Vormachtstellung des rationalen Denkens. Das Verstehen wurde komplizierter, einige Phänomene oder Geschehnisse konnten durch die Ratio nicht erklärt werden. Ohne das narrative Element wurde es kompliziert, Sachverhalte zu verstehen. All diese Umstände bildeten einen Nährboden für Verschwörungstheorien und boten misstrauischen Menschen die Erklärung, die sie so vergeblich suchten.

Informationsflut durch Medien

In unserer heutigen Informationsgesellschaft verbreiten sich Verschwörungstheorien schneller denn je. Durch das Internet lassen sich Meinungen, die oftmals als Fakten verpackt werden, unter dem Deckmantel der Anonymität, verbreiten. Die zahlreichen Informationen, die täglich auf uns einprasseln, lassen sich kaum sortieren, daher fängt der müde Bürger an, sie willkürlich in sein eigenes Schubladensystem zu stopfen. Es ist mühselig und kaum umsetzbar Herr über all das Wissen zu werden, dennoch fühlen wir uns unwohl, wenn die Erklärung fehlt. Theorien, die uns dann nach einem Muster, was wir nachvollziehen können, vermittelt werden und die Welt endlich wieder in das sichere Schwarz/Weiß teilen, sind insbesondere in Krisenzeiten sehr verlockend. Keiner findet sich leicht damit ab, dass ein Zufall die Ursache einer Katastrophe war oder dass es schlichtweg keine Erklärung gibt. Wir brauchen einen Schuldigen und nehmen die Willkür des Zufalls nicht gerne hin. Gegen einen Zufall ist man nämlich machtlos und das wollen wir nicht sein.

Fiktion oder Wirklichkeit?

Dennoch kann man nicht pauschal sagen, dass alle Verschwörungstheorien Humbug sind oder keine Existenzberechtigung haben. Whistleblower wie Edward Snowden machen uns immer wieder deutlich, dass ein Verdacht durchaus auch in einer Wahrheit münden kann. Es ist wichtig, dass Meinungen ihren Raum in einer Demokratie finden und dass man sich auch mit ihnen auseinandersetzt. Doch sollte man radikale Theorien hinterfragen: Was für einen Mehrwert hätte wer davon? Wäre so etwas überhaupt umsetzbar? Warum verbreitet genau diese Person jene Theorie? Welche Quellen werden verwendet? Es ist gefährlich, wenn man das Glauben und Meinen einer Person mit Wissen verwechselt.

Auch die Philosophen der Antike waren sich darüber bewusst, dass sie viele Dinge schlichtweg nicht wissen können. Die Skeptiker versuchten durch systematisches Hinterfragen der Wahrheit auf die Schliche zu kommen und stellten fest, dass man alles bezweifeln kann und eine endgültige Wahrheit nicht existiert. Auch der französische Philosoph René Descartes machte sich auf die Suche nach der Erkenntnis, an der man nicht zweifeln kann. 1641 veröffentlichte Descartes sein Werk Meditationes de prima philosophia, in der er das ernüchternde Ergebnis seines Experiments folgendermaßen beschreibt: „Ich bin, ich existiere.“

Den Schmerz des Nichtwissens und die Angst, die daraus resultiert, sind eine Bürde, die die Philosophen bereits seit vielen Jahrhunderten tragen. Auch wenn die Verlockung groß ist, Theorien zu verfallen, die rhetorisch so eindringlich und ansprechend vermittelt werden, so sollte man doch einen gewissen Skeptizismus beibehalten. Wie uns das Marketing zeigt, können Geschichten ganz leicht manipulieren und Fakten und Fiktion in einen stimmigen Brei verzaubern, der uns eine Wahrheit serviert, die oftmals keine ist. Halten wir uns doch an den Leitspruch der Aufklärung, mit dem Immanuel Kant die Bürger aus ihrer „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ führen wollte: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“

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