Der Forrest Gump-Mythos: Ist das Leben wirklich eine Pralinenschachtel?

„Life is like a box of chocolates – you never know what you’re gonna get.“ – Dieser Satz ist eines der bekanntesten Filmzitate und stellte wohl nicht nur Forrest Gump vor das Rätsel seines Lebens: Warum bin ich auf dieser Erde? Was ist mein Schicksal, meine Bestimmung, meine Pralinen? Das waren die letzten Worte, die ihm seine Mutter kurz vor ihrem Tod mitgab. Doch ist Forrest lediglich eine passive Marionette, die ferngesteuert von einem göttlichen Plan das Leben über sich ergehen lässt? Auf welche Weise tragen wir selbst dazu bei, was wir in unserer „box of chocolates“ vorfinden?

Forrest Gumps erste Schritte

Der Film beginnt an einer Bushaltestelle. Der erwachsene Forrest sitzt dort und erzählt seinen wechselnden Sitznachbarn seine Lebensgeschichte. Er wächst in einem kleinen Ort in Alabama auf, wo er in der Schule mit Hänseleien zu kämpfen hat. Sein IQ ist nicht sonderlich hoch und aufgrund seiner krummen Wirbelsäule muss er Beinschienen tragen – keine guten Voraussetzungen, um ohne Sticheleien durch eine amerikanische High School zu kommen. Nur seine Schulfreundin Jenny und seine Mutter geben ihm den Halt, den er braucht, um seine Stärken voll entfalten zu können. So stellt er schnell fest, dass er ein auffällig guter Läufer ist, was ihn sein ganzes Leben lang von Nutzen sein soll.

Glückliche Fügungen

Während er in seiner Kindheit und Jugend sein Lauftalent überwiegend zum Fliehen vor anderen Kindern nutzt, erhält er nach der Schule ein Stipendium für ein College, um dort als Runner in der Footballmannschaft zu spielen. So löst er sich von Jenny und seiner Mutter und geht seine eigenen Wege. Zahlreiche überraschende Fügungen bestimmen seinen Lebensweg, so dass der einst kleine Junge mit Beinschienen und niedrigem IQ immer wieder im Weißen Haus für seine guten Taten geehrt wird: Im Vietnamkrieg rettet er all seine Kameraden, als Footballspieler kann er zahlreiche Erfolge für sein College einholen, als Shrimps-Fischer lässt er das berühmte „Bubba Gump Shrimp“-Imperium entstehen und sogar als Tischtennisspieler wird er weltweit erfolgreich. Alles, was Forrest tut, wird zu einem Erfolg.

Seine Beziehung zu seiner großen Liebe Jenny hält er mit Briefen aufrecht. Sie sehen sich selten und wenn sie sich sehen, merken sie meist, dass sie unterschiedliche Ziele verfolgen und kaum noch miteinander kompatibel sind. Doch ein unsichtbares Band scheint die beiden immer wieder zusammenzuführen. So kehrt Forrest mit dem Tod seiner Mutter in seine Heimatstadt Greenbow zurück. Eine müde Jenny, die von ihrem wilden Lebensstil eine Pause braucht, steht eines Tages in seinem Vorgarten und bleibt für mehrere Wochen bei ihm. Nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht verschwindet sie wieder und meldet sich nicht mehr.

Große Liebe

Forrest beginnt zu laufen. Er läuft mehr als drei Jahre quer durch die Staaten Amerikas und inspiriert zahlreiche Menschen damit. Auch wenn er das keineswegs geplant hat. Die Vergangenheit hinter sich lassen, um weiterzugehen – das ist die einzige Absicht, die hinter seinem langen Lauf steckt. Jenny wird durch einen Fernsehbeitrag über den laufenden Forrest erneut auf ihn aufmerksam und lädt ihn in ihre Wohnung ein. Dort erfährt er, dass in der gemeinsamen Nacht ein Sohn entstanden ist, der auch Forrest heißt. Jenny leidet an einer unheilbaren Krankheit, dennoch heiraten sie und nach dem Tod von Jenny kümmert sich Forrest weiterhin um seinen Sohn.

Alles nur Schicksal?

Rückblickend stellt man sich nun als Zuschauer die Frage, wie es zu all diesen glücklichen Fügungen in Forrests Leben kommen konnte. Wie kann ein Mensch, der von der Natur nicht sonderlich gut ausgestattet wurde, so viel Erfolg haben? Wenn man der Mutter Glauben schenken darf, war es seine gottgegebene Pralinenschachtel. Es war sein Lebensweg, den Gott sich für ihn überlegt hat und zu dem er selbst nicht viel beitragen konnte, außer die nächste Praline aus der Schachtel nehmen und abwarten, was passieren wird. Und was bedeutet das für unsereins? Sind wir alle dazu verdammt, uns mit unserer Schachtel Pralinen abzufinden, auch wenn diese vielleicht nicht so wohl bestückt ist, wie die von Forrest Gump? Haben wir überhaupt keinen Einfluss darauf, was uns im Leben widerfährt?

Das wäre doch eine recht traurige Vorstellung, denn das würde bedeuten, dass wir uns abstrampeln können, so viel wie wir wollen, aber sich kein Schritt im eigenen Leben beeinflussen lässt. Auch wenn Forrest so wirkt, als ob er nicht viel zu all den glücklichen Fügungen beiträgt, sondern eher in einer gewissen Passivität verharrt, so gibt es doch verschiedene Szenen, in denen er aktiv Einfluss auf die Geschehnisse nimmt. Wenn er sieht, dass die Menschen, die er liebt, in Gefahr sind und ihn brauchen, wird Forrest aktiv. So trägt er seine Jenny von der Bühne, die nackt, nur mit einer Gitarre bekleidet, in einem Club voller Männer, wenig Anerkennung für ihren Gesang erfährt. Auch im Vietnamkrieg rettet er all seine verletzten Kameraden aus einem Bombenhagel, während er seinen besten Freund Bubba sucht. Sogar Leutnant Dan, der es als seine persönliche Bestimmung sieht, im Krieg würdevoll zu sterben, trägt er gegen seinen Willen aus der Gefahrenzone. Als er von dem nahenden Tod seiner Mutter erfährt, lässt er auf seinem Shrimps-Kutter alles stehen und liegen, um ihr die letzte Ehre zu erweisen. Auch den langen Lauf, den er nach dem Fortgang von Jenny und dem Tod seiner Mutter beginnt, ist seine bewusste Entscheidung, um sich selbst vor dem Schmerz zu retten. Nichts deutet daraufhin, dass eine höhere Macht ihn dazu bewegt.

Liebe und Furchtlosigkeit als Treibmittel seiner Handlungen

Doch was ist es nun, was uns dieser Film sagen will? Sollen wir uns unserem Schicksal hingeben und lediglich aktiv werden und selbst das Steuer in die Hand nehmen, wenn unsere Geliebten oder wir selbst in Gefahr sind? Wie Forrest bereits in seiner Zeit in der Army feststellte, ist er besonders gut darin, Befehle zu befolgen. Ja, das bewies er durchaus im Laufe seines Lebens und es brachte ihm jede Menge Ruhm, Geld und Erfolg. Aber ist es nicht auch seine Einstellung zum Leben, die ihn zu den Erfolgen führte? Forrest wusste, was Liebe ist, auch wenn er dumm war. Die Liebe, die er für die Menschen in seinem Umfeld empfand, führten ihn zu seinem Glück. Er respektierte seine Mitmenschen mit all ihren Macken und hatte ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden. Forrest hatte auch keine Angst vor dem Scheitern und auch nicht vor dem Tod. Wohin auch immer ihn seine Liebe für andere Menschen führte, er hatte keine Angst vor den Veränderungen.

Warum empfehlenswert?

Forrest Gump ist ein absoluter Klassiker, den jeder einmal gesehen haben muss – und zwar mehrmals. Jedes Mal, wenn man ihn wiedersieht und etwas älter geworden ist, entdeckt man einen anderen wunderbaren Winkel in dem Film, den man vorher nie wahrgenommen hat. Es ist ein Film, der Hoffnung in einem erweckt, und zunächst kann man gar nicht genau benennen, warum. Schließlich ist es keine sehr verheißungsvolle Aussicht, dass man einfach abwarten muss, was einem im Leben widerfährt und dieses still über sich ergehen lassen. Das Schicksal bestimmt sowieso, wo es langgeht. Das ist es nicht, was den Film so sehenswert macht. Es ist die Lebenseinstellung, die wir uns alle von Forrest Gump abgucken können. Sein grenzenloser Optimismus, der jeden Schicksalsschlag akzeptiert und feststellt, dass es danach weitergeht. Der Mut, mit dem er sich für seine Mitmenschen einsetzt und seine unerschütterliche Liebe, die nicht auf dem bloßen Haschen nach Anerkennung beruht, sondern einfach ehrlich ist. Vielleicht gibt uns dieser Film die Hoffnung, dass wir unser Leben doch beeinflussen können, und zwar mit genau diesen Grundeinstellungen, die in Forrest so fest verankert sind. Gute Werte, die man von seinen Eltern mitbekommen hat, an die folgende Generation weitergeben – vielleicht ist das unsere Mission auf dieser Erde. Zumindest ist es das, was wir von Forrest Gump lernen können.

1 Kommentar zu „Der Forrest Gump-Mythos: Ist das Leben wirklich eine Pralinenschachtel?“

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