Das Gewicht der Worte von Pascal Mercier – Was kann Sprache (nicht)?

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Simon Leyland liebt seit jeher die Sprache. Alle Sprachen, die rundum das Mittelmeer gesprochen werden, würde er gerne erlernen. Es ist naheliegend, dass er als Übersetzer seine Berufung findet und insbesondere in literarischen Übersetzungen aufgeht. Eines Tages wird sein Leben durch einen Irrtum im Krankenhaus auf den Kopf gestellt. Diese gänzlich neue Lebenssituation stellt ihn vor zahlreiche Fragen. Welche Bedeutung hat die Sprache in seinem Leben? Hat er neben dem Übersetzen zahlreicher Autoren seine eigene Stimme gefunden?

Das Lebensende so nahe

Den so sprachgewandten Simon Leyland verschlägt es eines Tages die Sprache. Ein Szenario, was den Sprachenliebhaber Simon Angst macht. Das Erlernen zahlreicher Sprachen, das Übersetzen und auch das Lesen literarischer Werke waren doch sein ganzer Lebensinhalt, seine Leidenschaft. So hofft er, dass es nur ein starker Migräneanfall sei, der ihm bald wieder sein Sprachzentrum zurückgibt. Nachdem die MRT-Bilder von seinem Kopf erstellt worden sind, folgt eine bittere Diagnose: Ein Gehirntumor lässt ihm nur noch wenige Monate Lebenszeit.

Was stellt man nun an mit seinem Leben, wenn nur noch wenige Monate bleiben? Simon Leyland verkauft zunächst den Verlag, den er von seiner Frau Livia geerbt hat. Doch was nun? Ein alter verstorbener Freund fordert ihn in einem Abschiedsbrief auf, seine eigene Stimme zu finden. Hat er sein Leben lang nur versucht, bereits Gedachtes und Gesagtes möglichst genau in andere Sprachen zu übertragen? In Briefen an seine verstorbene Frau reflektiert er seine Gefühle und die Geschehnisse, die durch die Diagnose über ihn hereinbrechen.

Fehldiagnose

Nach mehreren Wochen, in denen Simons Leben durch die Diagnose auf den Kopf gestellt wurde, stellt sich heraus, dass die MRT-Bilder vertauscht worden sind und ein ganz anderer die tödliche Diagnose erhalten sollte. Simon hatte tatsächlich lediglich einen starken Migräneanfall, der sein Sprachzentrum temporär außer Gefecht setzte.

Dennoch hat der Fehler der Ärzte seine Vorteile: Simon überdenkt sein Leben und sortiert sich neu. Mit dem Geld, welches er durch den verkauften Verlag eingenommen hat, investiert er in neue Projekte und sieht sich von der Verantwortung für den Verlag befreit. Er macht sich auf die Suche nach seiner eigenen Stimme und befolgt somit den Rat seines verstorbenen Freundes.

Intellektuelles Umfeld

So viel sei gesagt zu der zentralen Handlung in Merciers Roman. Es gibt zwar neben ihm noch seine Tochter und seinen Sohn und Freunde, die entweder für ihn gearbeitet haben oder zumindest die gleiche Leidenschaft für Sprache und Literatur teilen. Man hat ein wenig das Gefühl, dass sich Simon in all den Nebenfiguren wiederfindet. Es gibt keine Person in dem Roman, die wesentlich andere Charakterzüge oder Vorlieben hat als er.

Der leidenschaftliche Übersetzer führt durchweg intelligente Gespräche mit Gleichgesinnten, reflektiert über den schwerwiegenden Fehler, der dem Krankenhaus unterlaufen ist oder über Übersetzungen.

Macht der Sprache

Über die Sprache wird viel philosophiert in diesem Roman. Dabei wirft Mercier immer wieder folgende Fragen auf: Inwiefern kann Sprache die Wirklichkeit abbilden? Kann ein Übersetzer die Sprache des Autors in all seinen Nuancen wiedergeben oder ist es doch seine eigene Stimme, die in der anderen Sprache mitklingt? Auch über den Fachjargon der Mediziner wird sich mokiert. Wie kann man nur tödliche Diagnosen in einem derartigen Fachchinesisch den Patienten übermitteln? Als Lesender fragt man sich, warum sich ausgerechnet Simon Leyland und seine Tochter darüber aufregen, die sich beide scheinbar nie mit dem Alltäglichen beschäftigen, sondern ausschließlich über die großen Fragen des Lebens philosophieren und Geschehenes reflektieren.

Ein Roman der Metaebene

Genau das ist es, was diesem Roman zu fehlen scheint: Das wahre Leben, der Alltag, die Perspektiven von Menschen, die nicht dazu in der Lage sind, alles sofort zu reflektieren und von einer höheren Ebene zu betrachten. Der morgendliche Kaffee am Frühstückstisch, an dem man über blöde Kollegen lästert oder sich über Banalitäten streitet. Doch der Geruch von Kaffee und Alltagsmuff will dem Leser nicht so richtig in die Nase steigen.

 Es scheint so, als ob die ganze Welt die gleiche Sprache spricht, was für einen Roman, der sich hauptsächlich der Sprache widmet, etwas banal klingen mag. Es gibt nicht nur die verschiedenen Landessprachen dieser Welt, sondern auch Vielfalt innerhalb einer Sprache. Dem wird Mercier leider nicht gerecht, denn bei ihm scheint es nur Intellektuelle zu geben, die sich gewählt auszudrücken wissen.

Auch an Konflikten mangelt es. Ja, es kommt zu einer Verwechslung der MRT-Bilder, was Simon kurz im Glauben lässt, dass er an einer tödlichen Krankheit leidet. Dieser Fehler wird aber relativ schnell aufgeklärt, aber in Endlosschleife werden diese zehn schlimmsten Wochen in Simons Leben reflektiert und besprochen.

Lesenswert?

Obwohl ich die philosophischen Werke von Peter Bieri (das ist der wahre Name von Pascal Mercier) gerne gelesen habe, muss ich leider feststellen, dass mich sein Roman überhaupt nicht überzeugt hat. Auch wenn einige Gedanken zur Sprache interessant sind, ist es doch schwer, einen gewissen Lesegenuss zu empfinden. Zu oft wiederholt sich die Handlung und wird in ewig langen Briefen an Simons verstorbene Frau wiedergekäut. Und als ob das nicht reichen würde, werden auch alle Geschehnisse mit Freunden und Familie noch einmal ausführlich besprochen. Die eigentliche Handlung des Romans könnte man sicherlich auf einen Drittel der Seiten erzählen, wenn sie sich nicht dauernd wiederholen würde.

Es ist auch schade, dass es keinerlei Konflikte zwischen den Charakteren gibt, die an Eindimensionalität kaum zu übertreffen sind. Alle gehören der Bildungselite an, beschäftigen sich mit Sprache und streiten sich nicht. Alle wissen sich zu schätzen und wünschen sich stets das Beste.

Das gewisse Etwas, die Würze und damit der Geschmack fehlt dem „Gewicht der Worte“ leider. Es entstehen keine Bilder im Kopf, die einem als Leser ermöglichen, in einer Geschichte zu wohnen, sie zu erleben. Man schließt die letzte Seite und lässt das Buch ohne Nachgeschmack zurück. Kein Kloß im Hals, keine neuen Erkenntnisse oder ein warmes Gefühl ums Herz. Lediglich ein kleines Fünkchen Freude, dass es geschafft ist.

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Das Gewicht der Worte von Pascal Mercier

576 Seiten

12 Euro (Taschenbuch)

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