Alle Jahre wieder – Warum feiern wir (noch) Weihnachten?

Der Ärger über die Feierlichkeiten ist meist groß: Die krampfhafte Suche nach passenden Geschenken, das perfekte festliche Essen oder dem Tannenbaum, der die aus den letzten Jahren mal wieder übertrumpfen muss. Die 24 Tage vor dem Fest verbindet man kaum noch mit einer gemütlichen und besinnlichen Adventszeit. Die Geburt von Jesu Christi ist in unserer gänzlich auf Konsum und Individualismus ausgerichteten Welt irgendwo in blassen Farben in den Hintergrund der Feierlichkeiten geraten. Vielleicht erinnert die Krippe, die alljährlich unter dem Tannenbaum steht, noch ein bisschen daran, warum wir den 24. Dezember eigentlich feiern. Doch trotz des Schimpfens über überfüllte Innenstädte und krampfige Familienfeste halten wir an kaum einem christlichen Feiertag so sehr fest wie an Weihnachten. Immerhin feiern noch ganze 73 Prozent aller Deutschen im Jahr 2020 dieses Fest (Umfrageergebnisse Statista). Ich werde euch in diesem Artikel meine drei persönlichen Gründe nennen, warum Weihnachten nicht gefeiert werden sollte und einen einzigen, warum ich es dennoch jedes Jahr wieder gerne machen werde.

Erster Grund gegen ein Weihnachtsfest: Die Geschenkeschlacht

Nun fehlt noch das Geschenk für Onkel Herbert und Oma Ilse, die sich doch nie etwas wünschen. Einen Tag vor Heiligabend beginnt die krampfhafte Suche. Für ein persönliches Geschenk kenne ich sie zu wenig, für gar keins leider zu gut. So greife ich wieder zu der Flasche Aquavit und einer Schachtel Pralinen – der Bedarf an Süßkram und Schnaps wird ja schließlich immer da sein. Die kratzigen und neonfarbenen Socken, die ich letztes Jahr von ihnen überreicht bekommen habe, liegen auch seit 12 Monaten unangetastet in einer Schublade.

Die Stadt ist voll von Last Minute-Shoppern, die in der letzten Sekunde noch das passende Parfum für die Frau suchen oder völlig überteuertes Spielzeug für ihre bis heute Morgen vergessenen Neffen kaufen. Nicht nur der Kundschaft ist der Stress und die Dünnhäutigkeit anzusehen, auch das Personal der Geschäfte kriecht auf dem Zahnfleisch. Die Finger wund vom ständigen Bedienen des Tesafilms und die Nerven blank durch die Endlosschleife der immer gleichen Weihnachts-Playlist seit 24 Tagen. Von Besinnlichkeit ist hier wenig zu spüren.

Auch wenn es uns allen Freude bereitet, beschenkt zu werden, nehmen wir dafür jede Menge Stress und unangenehme Momente in Kauf. Eigentlich würde man doch viel lieber gemütlich auf den Adventskranz schauen, ein schönes Buch lesen oder sich mit Weihnachtsfilmen berieseln lassen. Und wenn wir mal ganz ehrlich sind: Wie sehr freut man sich über Geschenke, die ideenlos und unter Druck gekauft worden sind? Der Geschenkewahnsinn, der mit wachsender Familie von Jahr zu Jahr mehr ausufert, beschäftigt uns in der Regel den ganzen Dezember. Wäre es nicht viel einfacher, wenn man nur denen etwas schenkt, zu denen einen wirklich etwas einfällt? Nicht nur der Schenkende macht sich damit eine Freude, sondern auch der Empfänger würde lediglich wohl ausgesuchte und persönliche Aufmerksamkeiten erhalten, die nicht als Staubfänger die Wohnung vollstopfen. Aber das ist einfacher gesagt als umgesetzt. Zu sehr graut es mir vor dem unangenehmen Gefühl, dass irgendjemand leer ausgehen würde oder weniger bekäme als die anderen. Egal, ob er die Sachen braucht oder nicht…

Zweiter Grund gegen ein Weihnachtsfest: Wo, wann und mit wem?!

Nun habe ich alle Geschenke wohl eingepackt, beschriftet und wohl sortiert in verschiedenen IKEA-Tüten in meinem Kofferraum und es kann losgehen. Endlich beginnt nun der lang ersehnte besinnliche Teil der Weihnachtszeit. Zuerst geht es zu der Familie meines Freundes, also zu der Mutter. Ach ja, und vormittags haben wir seinem Vater mit seiner neuen Frau einen knappen Zeitslot reserviert. Dort werden die ersten Glühweine vor dem Ofen getrunken, Kekse gegessen und der Alkohol macht sich in der Stimmung bemerkbar. Das Klingeln meines Handys lässt alle hochschrecken: „Wo bleibt ihr denn?? Ich sitze hier mit Kaffee und Weihnachtsgebäck und warte auf euch!“. Schnell wird die erste Ladung Geschenke überreicht und es geht zur nächsten Station, die schon ungeduldig die weihnachtlichen Momente mit uns erwartet.

Familien werden durch Scheidungen, Patchwork und neue Partner immer komplizierter. Für nicht wenige sind die drei Weihnachtstage ein eng getakteter Staffellauf zwischen allen Familienmitgliedern. Man will es natürlich allen recht machen, aber kann dieses Rennen nur verlieren. Letztendlich geht man immer, wenn es am schönsten ist und verbreitet nur jede Menge Unruhe. Das schlechte Gewissen, dass irgendjemand immer zu kurz kommt, ist dabei ein treuer Begleiter durch die Feiertage.

Dritter Grund gegen ein Weihnachtsfest: Stimmung auf Knopfdruck

Das Weihnachtsoratorium klingt aus den Boxen der alten Wohnzimmeranlage. Die Kerzen verbreiten ein warmes Licht und alle haben sich ein bisschen schick gemacht. Eigentlich habe ich mich noch vorgestern mit meiner Schwester über den Ablauf des diesjährigen Weihnachtsfestes gestritten, aber das muss nun vergessen werden. Meine Mutter besteht auf gute Stimmung und Herzlichkeit, wenn der feierliche Abend beginnt. Wir fallen uns in die Arme, etwas steif, und spielen das Spiel brav mit. Eigentlich bin ich müde von den morgendlichen Besuchen bei anderen Familienmitgliedern und würde mich viel lieber in meiner Jogginghose in dem gemütlichen Ohrensessel verkriechen.

Dass die erzwungene Harmonie nicht immer aufgeht, beweisen zahlreiche Studien. Eine YouGov-Umfrage ergab, dass sich mindestens ein Viertel aller Deutschen Weihnachten streiten. Wenn die ganze Familie plus PartnerInnen aufeinandertrifft, entstehen häufig explosive Konstellationen, die man nicht ohne Grund sonst das ganze Jahr versucht zu meiden. So fällt auf einmal der starke Alkoholkonsum des Schwagers auf oder die herablassende Art der Stiefschwester. Unter dem Deckmantel der weihnachtlichen Besinnlichkeit brodelt stets die ein oder andere Fehde, die sich nicht selten bei zunehmendem Alkoholkonsum entlädt.

… und warum ich doch Weihnachten feiere!

Auch wenn dieser Artikel bisher nicht danach klingt, muss ich gestehen, dass ich mich trotz all der Kritikpunkte jedes Jahr auf Weihnachten freue. Weshalb ist das so? Ich denke, dass wir insbesondere nach einem Jahr wie diesem dieses traditionelle Relikt besonders genießen werden. Was feiern wir sonst schon? Ostern, Himmelfahrt, Reformationstag – alles nicht der Rede wert. Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt bröckeln uns immer mehr Feste weg, die gefeiert werden. Tradition wird abgelöst von Innovation, die Gemeinschaft vom Individualismus. Möge der ursprüngliche Grund, warum wir Weihnachten feiern, immer weiter in den Hintergrund rücken, aber mich beeindruckt es, dass dieses Fest durch bereits so viele Jahrhunderte getragen worden ist und sich in vielen Familien seit Generationen der Ablauf kaum geändert hat.

Das ganze Jahr über köcheln wir allein vor uns hin, leben unsere abwechslungsreichen und spannenden Leben, doch über die Weihnachtstage kommt man zusammen und bewegt sich in dem über Jahre antrainierten kleinen Radius der Routinen durch die Feiertage. Nicht wenige Schulen feiern aus genau dem Grund jedes Jahr an den Weihnachtstagen Ehemaligentreffen, weil alle heimkehren. Auch wenn diese Heimkehr für einige mit Stress und Streitereien verbunden sein mag, so muss ich doch sagen, dass dieser stets gleiche Ablauf, an dem seit Jahren nicht zu rütteln ist, für mich mit dem Gefühl von Heimat verbunden ist. Insbesondere dieses Jahr, in dem wir täglich mit neuen Einschränkungen, anderen Arbeitsroutinen und Angst konfrontiert worden sind, verstehe ich Weihnachten als kleine Insel der Normalität. Durch die Beschränkungen fällt dieses Jahr sogar der Einkaufsstress weg – kaum zu glauben, dass Corona auch einmal positive Begleiterscheinungen haben kann.

In diesem Sinne wünsche ich allen frohe Weihnachten!

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