Der schlimmste Mensch der Welt – Ein sprunghaftes Leben in Kurzgeschichten

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Julie ist fast 30 und wie fast alle 30-jährigen auf der Suche nach dem richtigen Lebensweg. Beruflich ist sie ähnlich unentschlossen wie in ihrem Privatleben: Ein halbes Medizinstudium, ein halbes Psychologiestudium und eine Ausbildung zur Fotografin ergänzen ihre Unverbindlichkeit in Beziehungen. Von Kindern will sie bisher nichts wissen und in ihrer Beziehung zu Comiczeichner Aksel fühlt sie sich zunehmend gelangweilt bis eingeengt. Doch wohin soll die nicht enden wollende Suche führen? Wie definiert sich Glück in Zeiten der unzählbaren Möglichkeiten?

Die Sprunghaftigkeit einer Mitte 20-jährigen

2021 entstand die melancholische Komödie Der schlimmste Mensch der Welt. Der norwegische Film brillierte vor allem durch seine Protagonistin, die von Renate Reinsve gespielt wurde. Julie ereilt das Schicksal vieler junger Menschen: Die schier unendliche Zahl an Möglichkeiten, sein Leben zu gestalten, lädt immer wieder dazu ein, neue Wege einzuschlagen, nichts ganz zu beenden, da immer wieder ein neuer spannender Impuls am Wegesrand lauert. So fängt sie an, Medizin zu studieren, danach Psychologie und als auch das sie beginnt zu langweilen, beschließt sie ihre „visuelle Seite“ ins Zentrum ihres beruflichen Werdegangs zu rücken und Fotografin zu werden. Schlussendlich arbeitet sie als Verkäuferin in einem Buchladen.

So richtig binden in einer ernsthaften Beziehung möchte sie sich auch nicht. Sie führt zwar ein eheähnliches Verhältnis mit dem Comiczeichner Aksel, aber wenn es um das Thema Kinder geht, sieht man förmlich, wie es der Protagonistin den Hals zuschnürt und sie flüchtet in eine Affäre mit Eivind, den sie auf einer Party kennenlernt, um ein wenig länger das Gefühl von Jugendlichkeit zu konservieren.

Umweltaktivismus und Sexismus

Der Regisseur und Drehbuchautor Joachim Trier macht in vielen Nuancen des Films deutlich, dass er den heutigen Zeitgeist verstanden hat. Neben der freiheitsliebenden und unentschlossenen Julie finden sich aktuelle gesellschaftliche Themen in den Randfiguren wieder. So muss sich Comiczeichner Aksel dafür rechtfertigen, dass seine Comics sexistische Witze beinhalten. Eivinds Ex-Freundin wird wiederum als radikale Umweltaktivistin und Menschenrechtlerin dargestellt, die sich außerdem mittels Yogaübungen stets um mehr Achtsamkeit im Alltag bemüht. Der ironische Ton der Erzählstimme lässt ein wenig darauf schließen, wie der Drehbuchautor zu diesen Trends steht…

Ein Leben in Episoden

Der Untertitel des Films „Julie in 12 Kapiteln“ lässt bereits darauf schließen, dass der Aufbau einer eigenwilligen Vorstellung des Regisseurs folgt. Einzelne Lebensabschnitte von Julie werden in kapitelartigen Abschnitten dargestellt, die unterschiedlich aufgebaut sind. So arbeitet der Regisseur mal mit einem Zeitlupeneffekt oder, als es zur Trennung von Freund Aksel kommt, lässt er die Handlung rückwärts ablaufen. Man scheint als Zuschauer in das Zeitempfinden der Protagonistin einzutauchen, das von Episode zu Episode variiert.

Dieser besondere Aufbau macht deutlich, dass ein Leben verschiedene Abschnitte beinhaltet, die unterschiedlichen Einfluss auf uns ausüben. Bei Julie scheinen die Menschen, die diese Kapitel mit ihr bestreiten, stets Spuren zu hinterlassen, sie wieder auf neue Wege umzuleiten und sie zum steten Umdenken zu motivieren.

Sehbar?

Der schlimmste Mensch der Welt zeigt keineswegs das Leben eines schlimmen Menschen. Julie mag zwar oberflächlich betrachtet egoistisch wirken, aber ist sie das wirklich? Kann man von Egoismus sprechen, wenn man auf der Suche nach seinem persönlichen Glück Umwege, Kursänderungen und Trennungen in Kauf nimmt? Ich denke, dass dieser Film vielmehr davon erzählt, dass in der heutigen Zeit diese Freiheit existiert, dass der eigene Lebenssinn gesucht werden darf. Man darf sich umentscheiden, Menschen verlassen, die man nicht mehr liebt und sogar zu ihnen zurückkehren, wenn man es vielleicht doch wieder tut. Das Leben ist kein vom Schicksal vorbestimmter Weg, dem man zu folgen hat, sondern ein Raum für Selbstgestaltung, ein Raum für Exzess, für extreme Gefühle und nicht mehr für das Absitzen einer Zeit, die fremdbestimmt wird.

Jede und jeder, der Lust auf einen Film hat, der den heutigen Zeitgeist in eine originelle Form gegossen hat, der sollte Der schlimmste Mensch der Welt schauen. Sowohl stilistisch als auch inhaltlich ist die Geschichte der Julie ein Genuss und durch die Einteilung der Lebensabschnitte in Kurzgeschichten sehr abwechslungsreich. Er lässt einen zurück mit dem Gefühl, das Leben leben zu wollen und den Facettenreichtum auszukosten.

Trailer zum Film Der schlimmste Mensch der Welt: https://www.youtube.com/watch?v=jvDlv2jRgyk

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