Nichts in den Pflanzen von Nora Haddada: Von der Bürde, kreativ sein zu müssen

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Leila ist Mitte zwanzig und Drehbuchautorin. Die zündende Idee für ein Drehbuch und der richtige Partner, der den passenden Kontakt hat, bringen sie auf einmal ihrem Traum so nahe: der erste große Vertrag mit einer Produktionsfirma! Es gibt nur ein Problem. Der Schluss des Debütwerks will ihr einfach nicht einfallen. Nora Haddada, selbst Drehbuchautorin, beschreibt in ihrem ersten Roman den Kampf von Kreativen, insbesondere dann, wenn einen die Muse auf einmal nicht mehr inspirieren will.

Leila und die Kreativität

Leila lebt in einer Großstadt, ist Mitte zwanzig und ist mit dem erfolgreichen Leon zusammen. Ihr Freund kennt sich in der Filmbranche gut aus und vermittelt ihr den Kontakt, der sie der Veröffentlichung ihres Drehbuchs so nahebringt. Auf dem ersten Blick scheint sie das perfekte Leben zu haben: Ein Freund, der liebevoll ist, eine berufliche Perspektive als Autorin und viele exzentrische Freunde, mit denen sie gemeinsame Partyabende verbringt. Doch der Schein trügt. Die exzessiven Trinkgelage werden immer verbitterter und entpuppen sich als Flucht vor dem Schreiben, dem leeren Blatt Papier.

Leila und Leon

Zwischen Leila und Leon wirkt auf dem ersten Blick alles perfekt und harmonisch. Auch wenn die Autorin schon auf den ersten Seiten andeutet, dass Leila irgendwas dazu bewegt, Leon wehtun zu wollen. So beginnt sie auch in der Mitte des Romans eine Affäre mit einem gleichnamigen Mann. Während Leilas Freund wenig Zeit für sie hat, da er beruflich sehr eingebunden ist, verbringt sie die Tage mit dem „Anderen Leon“.

Kreative Grausamkeit

Als Leserin wird man nicht schlau aus der Protagonistin. Leila ist alles andere als sympathisch, behandelt ihr Umfeld schlecht, manipuliert sie und ist so brutal an einigen Stellen, dass man es kaum ertragen kann. Man erfährt nichts über ihre Hintergründe, was wenig Mitleid ihr gegenüber erzeugt. Ein kaum erklärbarer Zorn auf ihr Umfeld erfüllt sie und lässt sie im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen gehen. Auf unerklärliche Weise motivieren sie aber ganz besonders ihre Grausamkeiten zum Schreiben, als ob das Quälen anderer eine kreative Blockade löst.

Selbst bei einem Therapieversuch fällt es der Therapeutin schwer, Verständnis für Leilas Verhalten aufzubringen. Sie eckt überall an, hat aber auch eine faszinierende Wirkung auf ihre Mitmenschen. Leila ist furchtlos, wild und voller Gedanken, die sonst kaum einer aussprechen mag.

Die Blase der Kulturschaffenden

Haddada verschafft mit ihrem Roman Nichts in den Pflanzen nicht nur einen Einblick in das Leben einer Drehbuchautorin, sondern auch in die Blase der Kulturschaffenden, insbesondere in die der Filmindustrie. Immer wieder stößt sich die Protagonistin an der Oberflächlichkeit dieser Szene, die sich mit Espresso Martinis, Creolen und Mittelscheitel von dem Rest der Gesellschaft künstlich abheben will. Sie scheint mit allen Mitteln gegen diese Blase ankämpfen zu wollen, bevorzugt Eckkneipen, Bier und Kir Royal. Mit Händen und Füßen wehrt sie sich, diese Maskerade der künstlichen Kreativität mitzumachen und kann ihr dennoch nicht entfliehen. Umso mehr sie darüber lästert, desto tiefer sinkt sie mit in den Lifestyle ihres Umfelds, der ihr so zuwider ist.

Vielleicht ist es auch genau das, was sie zu so einer grausamen Person macht. Die Drehbuchautorin ist angewidert von ihrem Umfeld, wird durch Konkurrenzdruck gelähmt in ihrem Schreibprozess und steckt dennoch in dieser Klientel fest. Sie ist auf Geldgeber, Kontakte und Wohlwollen anderer angewiesen. Ihre Rebellion gegen dieses oberflächliche Umfeld ist die Brutalität. Leila will verletzen, will diese scheinhafte gute Laune zerstören mit all ihrer Kraft, kann den zuvorkommenden Leon kaum ertragen und setzt sich zum Ziel, ihn zu brechen. Es ist das Ende des Romans, was auf dem ersten Blick überraschen mag, aber vielleicht aus dieser Perspektive auch als Happy End gewertet werden kann.

Lesbar?

Dieses Buch ist schwer zu bewerten. Es ist selten, dass man keinerlei Sympathien empfindet für die Figuren im Buch. Ja, man wünscht sich fast das Scheitern von Leila, da sie einen mit ihrer elitären Nörgelei, nicht schreiben zu können, auf die Nerven geht. Sie stört, macht stets Dinge, die durchweg unsympathisch sind und man fragt sich, warum sie nicht wie jeder andere arbeitende Mensch sich an ihrem Schreibtisch zusammenreißen kann, um zu schreiben. Auch die meisten anderen Figuren der Geschichte sind komplizierte und nervende Charaktere.

Aber ich denke, dass Haddada genau diesen brutal ehrlichen Einblick in eine verklärte Kulturblase ermöglichen wollte. Was für viele als der Traum erscheinen mag, wird in diesem Buch schnell desillusioniert. Die Filmindustrie wird entromantisiert. Die immer wiederkehrende Kritik an der Flucht in den Glauben und metaphysische Antworten bestätigt diesen Eindruck. Alle Hüllen werden hier fallengelassen und hinter dem Ideal von kreativen Freigeistern verbirgt sich nur der nackte Kampf ums Überleben, der nicht nur das Abarbeiten von Aufgaben erfordert, sondern das Schaffen neuer Geschichten, das Kennen der richtigen Kontakte und die stete Anpassung an ein Milieu, das mehr Schein als Sein ist.

Nichts in den Pflanzen von Nora Haddada
237 Seiten
24 Euro

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